Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)
ganz unerfahren und fand sie weit verlockender als all die herausgeputzten und gepuderten Hofdamen. Doch ich war so intensiv mit ihrer Verfolgung beschäftigt, dass ich gar nicht auf die Idee kam, sie könnte etwas anderes im Sinn haben, als eine Begegnung zwischen uns herbeizuführen.
Unversehens machte sie einen Schritt zur Seite und verschwand in der Menge, als hätte sie sich in Luft aufgelöst. Ich spähte nach allen Seiten, konnte sie aber nirgends mehr entdecken.
Ich konnte es nicht fassen. So etwas hatte ich noch nie erlebt. Sie konnte doch nicht einfach davongeflogen sein.
Während ich nach ihr Ausschau hielt, wurde mir zu meinem Schreck bewusst, dass sie mich zum anderen Ende des Saals geleitet hatte, ganz in die Nähe des Königspodests, wo sich inmitten der noblen Gesellschaft auch die Prinzessin aufhielt.
Ich versuchte, mich kleinzumachen. Aus der Nähe betrachtet, war es eine einschüchternde Gruppe: privilegiert und glanzvoll, mit jener Ausstrahlung von unangreifbarer Überlegenheit, die den Adel vom Rest des Volkes unterschied. Elizabeth hatte Jane Grey verlassen und saß jetzt, mit verträumter, unaufmerksamer Miene lauschend, einer Person gegenüber, von der ich nur die beringte Hand am Knauf eines Gehstocks sehen konnte.
Vorsichtig wie eine Katze trat ich den Rückzug an, im Stillen betend, dass die Prinzessin mich nicht bemerken möge. Das hätte mir gerade noch gefehlt, dass sie mich vor allen anderen bloßstellte und meine weiß Gott zweifelhafte Zukunft vollends ruiniert wurde.
Nur noch darauf bedacht zurückzuweichen, wäre ich fast mit einer Dame zusammengestoßen, die aus der entgegengesetzten Richtung kam. Im letzten Moment bemerkte ich sie – und erstarrte vor Schreck.
Es war Lady Dudley, die Herzogin von Northumberland.
Ihr Anblick traf mich wie ein Schwall kaltes Wasser. Lady Dudley, Roberts Mutter. Konnte es noch schlimmer kommen? Warum nur musste ich ausgerechnet ihr über den Weg laufen? In ihrer Welt kannten die Lakaien immer ihren Platz. Und der meine war sicher nicht hier, im Thronsaal.
Sie wirkte wie aus Marmor gemeißelt, ihre strenge Schönheit noch hervorgehoben durch ein exquisites granatrotes Samtgewand. Ich stand da wie festgenagelt, schlagartig zurückversetzt zu dem Augenblick vor ein paar Jahren, als sie mich bei dem Versuch, ein Buch aus der Dudley-Bibliothek zu schmuggeln, ertappt hatte.
Ich war damals dreizehn Jahre alt gewesen und untröstlich über den plötzlichen Verlust von Mistress Alice. Bei dem Buch, das Alice sehr geliebt hatte, handelte es sich um eine Sammlung von Psalmen in französischer Sprache, in Kalbsleder gebunden, mit einer auf Französisch geschriebenen Widmung auf dem Deckblatt: A mon amie, de votre amie, Marie .
Lady Dudley hatte es mir aus der Hand genommen und mich in die Stallungen beordert. Eine Stunde später war Master Shelton mit der Peitsche gekommen. Er war erst knapp ein Jahr im Dienst der Dudleys; er kannte mich kaum und versetzte mir die strafenden Hiebe eher zögerlich, sodass sie mehr Demütigung als Pein bewirkten. Aber danach wagte ich mich erst wieder in die Nähe der Bibliothek, als Lady Dudley sich an den Hof begab. Und selbst nach ihrer Abreise dauerte es noch Wochen, bis die Bücher mich zurücklockten; und dann schlich ich mich nur noch des Nachts hinauf und stellte jedes Werk zurück, sobald ich es gelesen hatte, als ob sie meine Verstöße gegen die Regeln aus der Ferne ausspionieren könnte.
Was das Psalmenbuch betraf, war es der einzige Gegenstand, der nicht mir persönlich gehörte, als ich die Burg der Dudleys verließ; ich hatte es in der Satteltasche versteckt, da ich mich einfach nicht davon trennen konnte.
Ein sarkastisches Lachen aus dem Sessel gegenüber von Elizabeth rief mich zurück in die Gegenwart. Lady Dudley hatte mich zum Glück noch nicht erkannt. Da ich keine andere Wahl hatte, begann ich, langsam, Zoll für Zoll, auf die Gruppe am Kamin zuzurücken, unter meinem Wams heftig schwitzend. Nur darauf bedacht, Lady Dudley zu entkommen, achtete ich nicht darauf, wohin ich strebte, bis ich gegen Lady Jane Greys Sessel stolperte.
Sie fuhr herum, die graublauen Augen erschrocken aufgerissen. Ich glaubte, abgrundtiefe Resignation darin zu erkennen. Sie straffte die schmalen Schultern. »Wer seid Ihr?«, fragte sie mit bebender Stimme.
Mir war, als zerfiele mein ganzes Dasein in Trümmer.
Und dann kam es, wie es kommen musste. »Was, du schon wieder?«, bellte der neben ihr sitzende Guilford,
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