Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)
aller Eile darübergeworfen.
Er selbst war nicht da. Anscheinend erstattete er gerade seinem Vater Bericht. So hatte ich Zeit, darüber nachzudenken, was ich als Nächstes tun sollte, und vielleicht seine Abwesenheit auszunutzen und seine Statteltaschen nach Hinweisen zu durchwühlen?
Plötzlich schreckte ich hoch. Schritte näherten sich. Mit einem gewaltigen Satz rettete ich mich in die Schlafkammer hinter dem Vorhang, kauerte mich mit angehaltenem Atem nieder und spähte durch ein Loch in dem von Motten zerfressenen Stoff.
In der Tür erschien eine verhüllte Gestalt. Eine Sekunde lang befiel mich die lähmende Angst, das wäre mein eigener Schatten. Ich musste mich zwingen, trotz meiner Furcht hinauszuschauen. Mir fiel ein Stein vom Herzen, als ich erkannte, dass diese Person trotz Kapuzenmantel und abgewetzten Stiefeln kleiner und schmaler war als ich. Wenn Peregrine sich nicht getäuscht hatte, konnte das unmöglich der geheimnisvolle Unbekannte sein.
Die Gestalt blickte sich in dem Zimmer um. Dann zog sie einen zusammengefalteten Bogen Pergament unter ihrem Umhang hervor und legte ihn auf den Tisch. Damit er dem Bewohner gleich beim Eintreten auffiel, schob sie die dort stehenden Kerzenständer zur Seite. Danach verließ sie den Raum so zügig, wie sie gekommen war.
Ich zählte lautlos bis zehn, ehe ich in den vorderen Teil huschte. Das Pergament war sehr zart und demnach aus teurem Material. Aber es war das Siegel, das meinen Blick bannte. Jenes filigran ausgeschmückte E, das wie von Weinranken umrahmt wirkte, konnte nur einer Person gehören. Ich musste an mich halten, um das Siegel nicht auf der Stelle zu brechen. Darin konnte etwas enthalten sein, das ich wissen musste, etwas, das von Bedeutung für meine Mission sein konnte. Andererseits konnte ich einen Brief von der Prinzessin an Robert doch nicht einfach lesen! Es sei denn …
Mit dem Fingernagel kratzte ich das Wachs am Rand des Siegels weg. Es war noch frisch und ließ sich leicht anheben. Mit hämmerndem Herzen entfaltete ich das Pergament. Von aristokratischer Hand waren zwei kurze Sätze niedergeschrieben worden, und darunter prangte die unverkennbare Initiale.
Mylord, mir scheint, es liegt eine Angelegenheit von einiger Bedeutung vor, die wir erörtern müssen. Wenn es nach Eurem Ermessen möglich ist, dann antwortet bitte auf dem bewährten Wege, und wir treffen uns nach dem zwölften Glockenschlag im Pavillon.
E
Atemlos stand ich da. Das Stakkato der durch den Gang donnernden Schritte hörte ich erst, als sie fast schon die Tür erreicht hatten. Gerade noch rechtzeitig rettete ich mich in mein Versteck.
Diesmal stürmte Robert herein. Er trug immer noch seine Reitausstattung. Seine Züge waren verzerrt. »Warum muss immer ich der Dumme sein, der ihm die Schmutzarbeit abnimmt?« Wütend riss er sich die Handschuhe herunter und schleuderte sie zu Boden.
Hinter ihm erschien, gelassen und makellos wie immer, seine Mutter, Lady Dudley.
Mir schnürte sich die Kehle zu. Mit fahrigen Fingern brachte ich hastig das Siegel wieder über dem Brief an. Mit einem leisen Klicken schloss sie die Tür. »Robert, lass das. Du bist kein Kind mehr. Einen solchen Wutanfall werde ich nicht dulden. Dein Vater kann dich um Gehorsam bitten, aber ich verlange ihn.«
»Ihr habt ihn. Ihr habt ihn ja immer gehabt. Ich habe sogar diese dumme Robsart-Schlampe geheiratet, weil Ihr und Vater das für das Beste hieltet. Ich habe immer alles getan, was Ihr von mir verlangt habt. Immer.«
»Niemand hat bestritten, dass du ein mustergültiger Sohn bist.«
Er stieß ein bitteres Lachen aus. »Verzeiht mir, wenn ich Euch bitte, widersprechen zu dürfen. Meiner Erfahrung nach werden Mustersöhne nicht auf absurde Botengänge geschickt.«
»Das ist keine absurde Mission.« Lady Dudleys ausdrucksloser Ton hatte etwas Gespenstisches. »Im Gegenteil, das, worum wir dich bitten, setzt hohes Vertrauen in deine Fähigkeiten voraus.«
»Welche Fähigkeit denn? Diejenige, von einem Moment zum nächsten loszureiten, um eine alte Jungfer zu verhaften, die jeder Schwachkopf mit einer halben Eskorte im Handumdrehen finden könnte? Es ist ja nicht so, als ob sie kämpfen würde. Ich gehe mit Euch jede Wette ein, dass sie nicht mehr als ein halbes Dutzend Soldaten dabeihat, wenn überhaupt.«
»Gewiss.« Zu meiner Erleichterung hatte Lady Dudleys Stimme wieder die gewohnte Strenge und Kälte angenommen. »Und doch könnte ebendiese alte Jungfer deinen Ruin bedeuten.« Ihre Blicke
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