Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)
kurz zu mir herüber und wandten sich wieder ab. Unvermittelt blieb ich stehen. Auf einmal wusste ich, was ich zu tun hatte.
Bald darauf lief ich eine prächtige Allee zum Palastpark hinunter, der sich bis zu einer Anhöhe erstreckte. Das Tageslicht verblasste allmählich, und die untergehende Sonne tauchte die am Himmel aufziehenden, wellenförmigen Wolken in rotes Licht. Es sah nach Regen aus. Um festzustellen, wo genau ich mich befand, zog ich Cecils Miniaturkarte aus der Tasche. Zu meiner Enttäuschung war der Park nur äußerst vage eingezeichnet. Und jetzt reichte die Zeit nicht mehr, um zurückzukehren.
Aber wie die meisten Palastparks musste auch dieser einem bestimmten Muster folgen: weiträumig, doch nach den Bedürfnissen des Hofes angelegt, sodass man nicht befürchten musste, sich zu verlaufen, wenn man über die breiten Wege schlenderte, die an kunstvoll zu Tierformen beschnittenen Hecken, Kräutergärten und Blumenbeeten vorbeiführten, ehe sie sich in alle möglichen Richtungen verzweigten.
Ich schritt über einen dieser schmäleren Pfade.
Über mir war Donnergrollen zu hören. Sprühregen setzte ein. Ich verstaute die Karte wieder in der Innentasche, zog mir die Kapuze tief über die Stirn und blickte mich um. In der Ferne erspähte ich einen See, der sich um ein Steingebäude wand.
Mein Herz machte einen Satz. Das musste der Pavillon sein.
Ich musste ein Waldstück durchqueren, an das sich eine verwilderte Parklandschaft anschloss, die irgendwie gespenstisch auf mich wirkte. Bei meinem nächsten Blick über die Schulter bemerkte ich in den Palastfenstern frisch angezündete Kerzen. Ich geriet ins Sinnieren. Ob Elizabeth gerade durch eines davon auf den Park hinausschaute und über ihr Treffen mit dem Herzog grübelte? Oder dachte sie nur an die heutige Nacht und fragte sich, was bei dem Rendezvous mit Robert herauskommen würde? Ich selbst war nie verliebt gewesen, doch nach allem, was ich gehört hatte, vermissten Liebende einander, sobald sie getrennt waren. War das auch bei Elizabeth so? Sehnte sie sich nach Robert?
Ich bedauerte, nicht die Gelegenheit genutzt zu haben, ihr mein ganzes Wissen anzuvertrauen. Es hätte mir kein Vergnügen bereitet, ihre romantischen Träume zu zerstören, aber zumindest wäre sie vor ihrem Rendezvous davon unterrichtet gewesen, nach welch hohen Zielen mein Herr strebte.
Es regnete stärker. Ich wandte mich vom Palast ab und beschleunigte meine Schritte.
Der See umschloss den Pavillon von drei Seiten. Von dem ungepflegten Gehweg, auf dem ich stand, führte eine bröckelnde Treppe zu ihm hinauf. Früher musste das ein idyllisches Örtchen gewesen sein, das zu einem Stelldichein förmlich einlud, bis Jahre der Vernachlässigung es mit Flechten überzogen und dem Vergessen preisgegeben hatten.
Bei der Erforschung der näheren Umgebung entdeckte ich in einer von Efeu überwucherten Mauer eine alte Pforte, wie Walsingham sie beschrieben hatte, die sich auf einen unbefestigten Weg und die sanften Hügel von Kent öffnete. Hier konnten Pferde angebunden werden, ohne dass irgendjemand sie sehen oder hören konnte, vorausgesetzt, man umwickelte ihre Hufe mit Stoff und legte ihnen einen Maulkorb an. Hatte die Prinzessin diese Stelle deshalb gewählt, weil sie sich hervorragend für eine Flucht eignete? Diese Überlegung beflügelte meine Lebensgeister, bis mir siedend heiß eine weniger beruhigende Möglichkeit einfiel.
Was, wenn Cecil das alles geplant hatte? Er konnte es durchaus darauf anlegen, Elizabeths Absicht, Robert hierher- zulocken, für seine Zwecke auszunutzen. Immerhin konnte man sie zügig – auch mit Gewalt – von hier fortschaffen. Doch gleichgültig, was der Sekretär sonst für Absichten hegen mochte, ihm konnte bestimmt nicht daran gelegen sein, Elizabeth den Dudleys zum Fraß vorzuwerfen. Wie er selbst gesagt hatte, war sie die letzte Hoffnung des Königreichs.
Ich überlegte angestrengt. Nun, da ich allein war und außerhalb des Palasts endlich wieder das Gefühl hatte, richtig atmen zu können, erkannte ich, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes an der Nase herumgeführt worden war. Ich hatte Cecils Vorschlag angenommen, den Brief meines Herrn überbracht und Walsingham getreulich Meldung erstattet. Doch im Grunde kannte ich keinen einzigen dieser Männer. War ich ein weiterer Bauer in diesem Spiel geworden, den man ohne Weiteres opfern konnte? Was, wenn hinter dieser komplizierten Täuschung mehr steckte, als einem ins Auge sprang? Mich
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