Die Tudor-Verschwörung: Historischer Roman (German Edition)
Bett zu holen. Für Walsingham würde ich in dieser Hinsicht allerdings nicht unbedingt die Hand ins Feuer legen.«
Ich machte einen Satz nach vorn. Mit einer einzigen Bewegung riss Stokes den Arm hoch, zückte das Stilett und richtete es auf meine Brust. »Wenn ich dich verfehle«, sagte er mit einem flackernden Lachen, »was höchst unwahrscheinlich ist, wird mein Freund hier dich wie ein Frühlingskalb ausnehmen.«
Heftig keuchend wich ich zurück. Was war nur in mich gefahren? Ich wusste es doch besser. »Ihr wärt nicht so zuversichtlich, wenn es ein Kampf zweier Gleicher wäre«, hielt ich ihm vor.
Sein Gesicht verfärbte sich. »Wir werden nie Gleiche sein, du erbärmlicher Hochstapler!«
Hochstapler? Meinte er vielleicht: Spion? Mir wurde flau im Magen. Er war der Handlanger der Suffolks, mein unheimlicher Schatten. Das stand für mich fest. Wie viel von meinem Gespräch hatte er belauscht? Wenn er genug erfahren hatte, um den Sekretär zu enttarnen, dann würden Cecil all seine Pläne um die Ohren fliegen.
Ich raffte meinen ganzen Mut zusammen. »Ich bin Robert Dudleys Junker. Ich weiß weder, wie Ihr auf die Idee kommt, ich könnte diesen Cecil kennen, noch, warum ich mich als jemand anders ausgeben sollte.«
»Oh, ich hoffe doch sehr, dass du nicht vorhast, vor ihr den Unschuldsengel zu spielen. Das wird dir nichts nützen. Nicht im Geringsten! Falsche Bescheidenheit hat Ihre Gnaden noch nie beeindruckt. Sie weiß nur zu gut, warum du an den Hof gebracht wurdest und warum Cecil solches Interesse an dir zeigt. Und sie ist nicht erfreut. Sie hasst die Gemütsart der Tudors. Aber das wirst du früh genug erfahren.«
In einer theatralischen Geste winkte er mir zu. »Lauf nicht weg.« Damit trat er in den Gang und schlug die Tür hinter sich zu. Gleich darauf wurde der Riegel vorgeschoben. Die Zelle lag in pechschwarzer Dunkelheit.
In meinem ganzen Leben hatte ich noch nie solche Angst gehabt.
16
Ruhig atmend schloss ich die Augen und gestattete ihnen, sich an die Finsternis zu gewöhnen. Allmählich hellte sich das Schwarz rings um mich tatsächlich auf, löste sich von den Mauern, und vor mir erstanden Schatten. Aufgrund der Kälte schloss ich, dass ich mich unter der Erde befand. Außerdem konnte ich das Murmeln von Wasser in der Nähe ausmachen. Ein Fluss?
Auf allen vieren kroch ich in der Zelle herum. Was ich hier vorfand, gefiel mir ganz und gar nicht. Trotz der Algen auf dem Boden und an den Wänden und der übrigen schrecklichen Bedingungen gab es weder Kotspuren noch sonstige Hinweise auf Nager, obwohl Greenwich wie jeder andere Ort, wo es Nahrung zu finden gab, sicherlich von Ratten heimgesucht wurde. Am Fuß der Mauer, in der sich die Tür befand, entdeckte ich ein breites Eisengitter. Ich kauerte mich darüber und starrte hinunter. Aus dem schwarzen Loch stiegen mir ein pestilenzartiger Gestank und das Gurgeln von Wasser entgegen. Ferner musste ich erkennen, dass sich zwar verhärteter Lehm von den Gitterstangen abkratzen ließ, diese aber äußerst massiv waren.
Diese Zelle musste unter der Ruine des alten Palastes aus vergangenen Jahrhunderten liegen. Vielleicht hatte sie in früheren Zeiten als Verlies gedient. Andererseits hatten wir uns doch ein gutes Stück vom See entfernt, und in letzter Zeit war nicht genug Regen gefallen, um die Feuchtigkeit hier unten zu erklären. Der Palast von Greenwich war erst nach den Bürgerkriegen der Feudalzeit erbaut worden. Er besaß keine Schutzwälle oder Burggräben, denn angeblich stellten die nach Unabhängigkeit vom König strebenden Fürsten mit ihren eigenen Vasallen keine Gefahr mehr dar. Doch der schleimige Boden und die modrige Luft wiesen darauf hin, dass diese Zelle erst kürzlich geflutet worden war.
Nichts davon vermochte meine Angst zu zerstreuen.
Nachdem ich die Zelle zweimal umrundet hatte, glaubte ich zu wissen, wie ein gefangener Löwe sich im Käfig fühlen musste. Mit den Füßen stampfend, um den Blutkreislauf zu beleben, kehrte ich zum Gitter zurück. Soweit ich das nach mehreren Versuchen beurteilen konnte, waren Boden und Wände zu massiv, als dass ich etwas herausbrechen oder irgendwo ein Loch hätte graben können. Mein einziger Ausweg hätte darin bestanden, den Mörtel um das Gitter aufzuschlagen und das Gitter herauszunehmen, aber dazu hätte ich eine Hacke benötigt.
Ich saß in der Falle. Und das in einem Moment, da im Prunksaal die Feier zu Jane Greys und Guilford Dudleys Vermählung beginnen sollte und die
Weitere Kostenlose Bücher