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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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der Halbruine des amtlichen Waldschrats, und beide wagten eigentlich kaum zu hoffen, daß links von ihr wirklich eine Gasse abgehen würde. Denn auch Ida konnte sich an so einen Weg, geschweige denn eine Gartentür, nicht erinnern. Allerdings fing sie bei hartnäckiger Nachfrage jeden Satz mit »Ich kann mich auch irren, aber ...« an, was Ali als klassisches Zeichen dafür wertete, daß sie sich auf jeden Fall ein Hintertürchen offenhalten wollte.
    Plötzlich sahen sie es! Freilich nicht das mystische Licht, wie Ali schon vermutet hatte, aber immerhin: Ein breiter Schattenriß an der Gebäudekante hob sich deutlich von dem daneben befindlichen Haus ab. Hier mußte sich also eine Lücke zwischen den beiden Bauwerken befinden. Und wirklich, als sie sich immer rascher auf diesen dunklen Abschnitt zubewegten und schließlich davorstanden, gab es nicht den geringsten Zweifel mehr: Die Gasse existierte. Unauffällig, sehr eng und von einer geradezu Film-noir-reifen Finsternis erfüllt, doch zweifelsohne Realität. Ganz in der Ferne, am Ende des Durchlasses, bildete sich die verschnörkelte Gartentür als Silhouette gegen die sonnenbeschienenen Häuserfassaden der anderen Straße ab.
    Bis hierher hatte Ali sozusagen gewonnen, das mußte Ida akzeptieren, ob es ihr paßte oder nicht. Doch er empfand keinen Triumph darüber, daß er recht behalten hatte. Vielmehr spürte er nun einen unglaublichen Heißhunger. Ohne mit der Wimper zu zucken, hätte er einen vorbeilaufenden Pudel anfallen und ihn roh verspeisen können. Kurz, er hatte mittlerweile jegliches Interesse an diesem Vergangenheitsmist verloren.
    Unterdessen betrat Ida die Gasse und marschierte wortlos voraus. Ali folgte ihr wie ein Automat, der von ihr ferngesteuert wurde. Außerdem gab es hier sowieso nur die zwei Möglichkeiten, vorangehen oder folgen, weil die Gasse einfach zu eng war, als daß zwei Menschen nebeneinander hätten gehen können. Unheimlich hallende Schritte auf den abgewetzten Pflastersteinen, das Gefühl, zwischen den riesenhaften Ziegelsteinmauern zerquetscht zu werden, und die Ahnung, daß man einen Frevel beging, daß es kein Zurück in das alte Leben mehr gab, wenn man den Weg bis zum Ende ging - erneut wurde Ali von diesen Eindrücken überwältigt. Nur das Wunderlicht fehlte. Und es würde fortan immer fehlen. Das wußte er.
    Ida erreichte die Gartentür, inspizierte sie flüchtig, öffnete sie dann halb und richtete ihren Blick auf das alte Haus. Ali blieb hinter ihr stehen und lugte über ihre Schulter.
    Die Vierer Bande samt ihrem Magirus-Laster war verschwunden. Auf der Fahrbahn warfen großflächige Wasserpfützen augenblendende Lichtreflexionen zurück, und die Straßenzeile gegenüber ragte gegen den inzwischen stahlblau gewordenen Himmel wie zum Trocknen aufgehängte, frisch duftende Wäsche an der Leine. Schade nur, daß diese penibel restaurierten Häuser bei gutem Wetter wie ihre eigenen Disneylandversionen aussahen. Was ihr Haus betraf, wirkte es bis auf die Rückwandlung der Fensterbänke völlig unauffällig. Niemand war an den Fenstern zu sehen, und kein Jung-Ali und keine Jung-Ida traten aus der Türe und riefen: »Hallo, ihr beiden, kommt doch kurz auf einen Kaffee rein!«
    Die Straße strahlte nichts Gespenstisches und nichts Beängstigendes aus. Und mit Autos kannten sie sich nicht so genau aus, als daß sie anhand der geparkten Wagen hätten schätzen können, in welchem Jahr sie sich hier befanden. Schließlich behauptete Ali, ihren Einzug vor einem Jahrzehnt beobachtet zu haben, und die Leute hatten sich weder damals immer sofort das brandneueste Modell zugelegt, noch taten sie es in der Gegenwart. Das Problem war, daß zehn Jahre noch kein ausreichend langer Zeitraum war, um die Vergangenheit in augenfälligen Details von der Gegenwart abzuheben. Genau daran scheiterten sie auch, als sie aus der Kleidung der vereinzelt vorbeischlendernden Passanten den Stil der frühen Neunziger herauslesen wollten. Die meisten Menschen verfolgten die aktuelle Kleidermode so enthusiastisch wie Bären die aktuelle Pelzmode.
    »Wo ist denn der Umzugswagen?« fragte Ida. Der Spott in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
    »Das ist doch ganz offensichtlich«, erwiderte Ali. Er hatte mit dieser Frage gerechnet und die Antwort darauf längst vorbereitet. »Wie du dich vielleicht erinnerst, war damals der ganze Umzug bis Mittag abgeschlossen. So viel besaßen wir damals ja gar nicht, daß es einen ganzen Laster gefüllt hätte. Eigentlich

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