Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
Vom Netzwerk:
Selbstmordgedankenspielereien hatte er nämlich insgeheim die Hoffnung gehegt, er könne ihrem Beispiel folgen. Aber wie es schien, war sie nicht einmal mehr imstande, ihre Wohnung ordentlich durchzulüften.
    Während des letzten Abschnitts seiner Schilderung hatte sie ihm den Rücken zugekehrt und aus dem Fenster hinaus in den Nieselregen gesehen. Als er fertig war und die gespenstische Pointe verraten hatte, machte sie nicht gerade einen betroffenen Eindruck, denn sie drehte sich noch immer nicht um. Wortlose Sekunden, in denen er spekulierte, ob sie in dieser trostlosen Umgebung und dank ihrer neuen Lebensumstände zu einem emotionslosen, begriffsstutzigen Zombie geworden war.
    Dann aber wandte sie sich endlich zu ihm, und er sah, daß sie unhörbar geweint hatte. Paradoxerweise wurde sie für ihn da wieder zu seiner alten jungen Ida. In den zurückliegenden achtzehn Jahren hatte er oft Gelegenheit gehabt, sie so zu sehen, in der letzten krisengeschüttelten Zeit freilich etwas öfter. Die rötlich gefleckte Haut, naß von Tränenschlieren, die milchigen Augen, die rote Nase, die zitternden Lippen, all das verwandelte sie wieder in das Mädchen zurück, das sie bei ihrem allerersten Streit gewesen war.
    »Es gibt verschiedene Erklärungen, warum du so etwas Bescheuertes gesehen hast - oder gesehen zu haben meinst«, sagte sie schließlich mit brüchiger Stimme und wischte sich mit dem Ärmel des schwarzen Kleides die Tränen vom Gesicht.
    »Wenn ich von meinem reichen Erfahrungsschatz ausginge, würde ich sagen, daß du mir einfach weh tun willst. Nachdem du zu Geld und Ansehen gekommen warst, hast du es dir ja zur Gewohnheit gemacht, mich ständig zu quälen. Ich weiß nicht, ob du dich an irgend jemandem für das unausgelebte Leben davor rächen wolltest. Mein Pech, daß ich bei dieser Übung immer das greifbarste Opfer war.«
    »Aber, Ida, was redest du da!« protestierte Ali und schnellte von seinem Stuhl hoch. »Du glaubst doch nicht im Ernst, daß ich hier aufgetaucht bin, um dir weh zu ...«
    »Setz dich hin und laß mich ausreden!« fauchte sie und griff nach einer Packung Camel und einem grünen Einweg-Feuerzeug. Sie hatte früher nie geraucht. Auch das war für ihn ein Zeichen des Abstiegs und eine niederschmetternde Enttäuschung. Sie steckte sich eine Zigarette an und nahm ihm gegenüber auf einem der Designerstühle Platz.
    »Schließlich bist du zu mir gekommen, um meine Meinung zu hören. Außerdem glaube ich gar nicht, daß du mir dieses neblige Osterwunder aufgetischt hast, um mich fertigzumachen. So wie du aussiehst, hast du wohl zur Zeit andere Sorgen. Eine andere Ursache für diese Erscheinung könnte natürlich darin liegen, daß du ganz einfach verrückt geworden bist. Um die Wahrheit zu sagen, warst du schon immer ein wenig übergeschnappt. Wer käme schon auf die Idee, Tote zu malen.«
    »Ich dachte, dir haben meine Bilder gefallen?«
    Er schüttelte langsam und traurig den Kopf.
    »Sie gefallen mir immer noch. Aber merkwürdig ist es trotzdem oder nicht? Ich fürchte jedoch, auch das beantwortet nicht die Frage, weshalb du heute morgen einen Blick zurück im Neid auf das allseits bewunderte Traumpaar der Neunziger riskiert hast. Für so grandiose Halluzinationen braucht man nämlich eine gewisse Veranlagung. Jedenfalls war das der Fall bei allen Bekloppten, die ich bisher kennengelernt habe. Richtig verrückt ist man von Geburt an oder man wird es zumindest relativ früh. Aber dir sind in der Vergangenheit nie die Sicherungen durchgebrannt, wovon also jetzt? Kurz: Du bist einfach zu alt, um noch verrückt zu werden. Bliebe also die wahrscheinlichste Erklärung und die einzig wahre, wie ich meine.«
    Ali ahnte, was jetzt kommen würde. Er selbst dachte ja das gleiche.
    »Du stinkst, als hättest du die letzte Nacht in einem See aus Schnaps deinen Freischwimmer gemacht. Und nach deinem Aufzug zu schließen, hast du die vorangegangenen Nächte auch nicht gerade auf dem Trockenen verbracht. Mensch, Ali, du solltest dich mal im Spiegel ansehen! Als wärst du mehrmals hintereinander aus einem fahrenden Auto gesprungen, so siehst du aus. Vor allem solltest du schleunigst diesen scheußlichen Mantel loswerden. Ich weiß noch, wie ich ihn dir während dieser Shoppingorgie in London ausgesucht habe. Damals war er ein schönes Zeichen unseres Sieges über die Kleingeister, die uns jahrelang verspottet hatten. Heute ist er nur noch ein aus der Mode gekommener Mantel eines Gescheiterten.«
    Seichtem

Weitere Kostenlose Bücher