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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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lag es auf der Zunge, Ida darauf hinzuweisen, daß sie eigentlich ebenfalls eine Menge Zeug aus ihrer Wohnung hätte verbannen müssen, um die gute alte Zeit ein für allemal aus ihrem Bewußtsein zu löschen. Zudem wirkte sie mit ihrem verheulten Gesicht, ihrem angestrengten Zynismus und ihrer atemlosen Pafferei wie eine überdrehte Intellektuelle aus einem französischen Film kurz vor dem Nervenzusammenbruch.
    »Wie dem auch sei, die Diagnose ist eindeutig: Du hast wieder einmal gesoffen und dann Gespenster gesehen.«
    »Du glaubst mir also nicht?«
    »Ich glaube dir, daß du sehr betrunken warst und in dieser Gasse in einen Dämmerzustand gefallen oder ohnmächtig geworden bist. Die Sehnsucht nach besseren Zeiten hat Phantasien heraufbeschworen, die in deinem Unterbewußtsein vorhanden waren.«
    »Aber es war so real.«
    »Ach, Ali, was ist schon real? Ich dachte zum Beispiel immer, real ist, daß wir in unserem Haus mit unserem Kind nach all den harten Jahren gemeinsam unser Leben genießen. Doch in Wahrheit war das auch nur ein Traum.«
    Sie winkte mit einer resignierten Geste ab, geradeso, als erteile sie aller Zuversicht der Welt eine Absage.
    »Ja, du hast recht«, stöhnte Ali und erhob sich, ohne auf ihre letzten Sätze einzugehen. »Eigentlich war das von Anfang an auch meine Einschätzung.«
    Die Vorstellung, sie in einer aufreibenden Diskussion vom Realitätsgehalt der Angelegenheit zu überzeugen, schien ihm noch hoffnungsloser als das Akzeptieren dieses traurigen Erklärungsversuchs. Nun sehnte er sich nach nichts mehr, als von hier so schnell wie möglich wegzukommen. Mit einem Mal erschien ihm sein bizarres Erlebnis arg verblaßt, wie von jemand anderem erzählt, ja, wie ein weit zurückliegender merkwürdiger Traum.
    Er stand auf und machte Anstalten zu gehen. Ida verharrte in den Rauchschwaden ihrer Zigarette auf dem Stuhl und starrte grimmig ins Nichts. Er spielte kurz mit dem Gedanken, ob er ihr zum Abschied einen Kuß geben sollte - falls sie es erlaubte. Doch plötzlich roch er erneut den ominösen üblen Fäulnisgeruch und verdächtigte sogar sie als Quelle.
    »Ali, hör endlich auf, in Erinnerungen zu kramen! Sicher, es macht Spaß, sie hin und wieder ans Licht zu holen, aber wenn dieses Spiel zum Lebensinhalt gerät, wird es krank. Das, was uns passiert ist, passiert in jeder zweiten Ehe auf der Welt. Und ein Kind zu verlieren ist immer eine Tragödie, aber auch das passiert. Ich glaube auch nicht, daß deine Pechsträhne ewig anhalten wird. Du mußt wieder anfangen, ernsthaft zu arbeiten, visionär zu malen bis zum Umfallen, so wie früher. Irgendwann geht es dann auch wieder aufwärts.«
    Das Leben ging also weiter, ob mit Gespenstern oder ohne. Und auch der Tod des eigenen Kindes ließ sich verdrängen, wenn man sich nur kräftig bemühte. Ali wollte dieser kaputten Glücksroboterin, die verlogene Platitüden herunterleierte, an die sie selbst nicht glaubte, nur noch den Rücken kehren. Ihn fröstelte in dieser leblosen Wohnung, von der sogar eine unsichtbare Bedrohung auszugehen schien. Dennoch beschlich ihn jäh ein Gefühl des Unabgeschlossenen, die nagende Besorgnis, etwas Wichtiges unerwähnt gelassen zu haben. Er wandte sich noch einmal um, als er die Türklinke bereits in der Hand hatte.
    »Möchtest du nicht mit mir zusammen zu dieser Gasse gehen und dir das Ganze selbst anschauen?«
    Ihr Nein kam eine Sekunde zu spät, als daß es ihn vollständig hätte überzeugen können. Idas Zögern ließ ihn kurz hoffen, deshalb wartete er noch ein kleines Weilchen und verließ erst, als nichts mehr folgte, die Wohnung.
    Vor der Haustür spürte er, daß etwas Schreckliches geschehen würde, wenn er jetzt nicht seinem Fluchtreflex gehorchte. Ja, Flucht, so als könnte jeden Augenblick eine Bombe neben ihm hochgehen. Es war ein irrationales Gefühl, doch deshalb nicht weniger angsterregend. Mit schnellen Schritten entfernte er sich von dem Haus, und mit jedem Schritt machte sich in ihm eine Art Befreiung breit, die unerklärliche Freude darüber, noch mal davongekommen zu sein. Ihm ging es beinahe wieder gut.
    »Ali! Ali!«
    Seichtem blieb stehen und drehte sich langsam um. Oben am geöffneten Fenster im dritten Stockwerk sah er Idas Gesicht.
    »Warte!« rief sie, »ich komme runter!«

6
     
    U nterwegs zu der Gasse erinnerte nichts mehr an die trübe Stimmung des frühen Morgens. Der Regen hatte sich längst verflüchtigt, der graue Wolkenbrodem sich in vereinzelte Schäfchenwolken

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