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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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Teil zwar nur, ein Stück des Kammes, das eine Auge und den spitzen Schnabel, doch es genügte, damit der regelmäßig vorbeikommende Spaziergänger den Hahn mit diesem einen Haus assoziierte.
    Irgendwann ging er verloren. Nein, nicht ganz. Ali konnte sich erinnern, daß er nicht einfach so verlorenging, das hätte nämlich bedeutet, daß er sich gewissermaßen unbemerkt verflüchtigt hatte, während er in Wirklichkeit einen spektakulären Abgang hatte. Nachdem Ida mit Sack und Pack das Haus verlassen hatte, und er die grausame Schonfrist von ein paar Tagen in den völlig leeren Räumen bis zur Schlüsselübergabe an den Käufer genießen durfte, verstaute er seine wenigen Sachen in Obstkartons aus dem Supermarkt. Dabei bemerkte er wie ein Bestohlener auf dem Rummelplatz fassungslos, daß der Hahn sich weder auf seinem gewohnten Platz noch sonstwo befand. Er durchstöberte das ganze Haus bis in den letzten Winkel, hauptsächlich den Keller und den Speicher, weil er sich einbildete, das gute Stück hatte früher irgendwann einer neuen Einrichtungsidee Idas dorthin weichen müssen, doch die Suche blieb erfolglos. Danach, vor allem dank des Einflusses ungezählter Wodkas, vergaß er den Hahn endgültig.
    »Ach ja, der Hahn«, sagte er schließlich und machte ein frohes Gesicht, als hätten sie beide einen Schatz aus ihren Kindheitstagen gehoben. »Ich habe ihn überall gesucht, nachdem du ausgezogen bist. Leider ergebnislos.«
    Jetzt wollte er zur Abwechslung den Rationalen spielen, quasi als Beweis, daß er doch Herr seiner Sinne war.
    »Scheint so, daß der alte Knabe da drin mehr Glück hatte als ich. Wahrscheinlich hat er ihn in irgendeiner verborgenen Ecke entdeckt. Das Prachtstück hat ihm gefallen, und er hat es dann zufällig an denselben Platz gestellt wie wir.«
    Ida betrachtete ihn so skeptisch wie der Polizist den notorisch lügenden Kleinkriminellen.
    »Nein«, sagte sie leise u nd gefaßt. »Er hat ihn nicht ge funden. Nicht er, nicht du, niemand konnte den Hahn finden, nachdem ich ausgezogen war. Weil ich ihn vorher vor Wut kaputtgemacht habe. Ich habe ihn mit der Rosenschere in hundert kleine Teile zerschnippelt und dann in die Mülltonne geworfen. Ich habe sogar aus dem Fenster beobachtet, wie der Inhalt der Tonne in den Müllwagen wanderte.«
    Das soll dir eine Lehre sein, dachte Ali. Leute, die Gespenster sahen und davon freimütig erzählten, gaben als Rationalisten eine miserable Figur ab. Ida schien sich nun zu verfinstern, ja es besaß den Anschein, als wüchse aus ihrem Innern ein pechrabenschwarzer, unheilvoller Schatten und hülle sie darin ein. Trotz der grellen Sonne. Ihre Züge bekamen etwas Steinernes, und selbst ihre von ersten weißen Strähnen durchzogenen Haare schienen dieser Verfinsterung unterworfen und verhüllten ihr Gesicht, das nur noch undeutlich zu sehen war wie bei einer Hexe. Ali fühlte sich angesichts der ins Irreale driftenden Erscheinung wieder unwohl; sein Hunger war auf eine unangenehme Weise wieder verflogen wie der Drogenrausch am Morgen danach.
    »Okay, du hast den verdammten Hahn gesehen«, sagte er gereizt und bemerkte, daß seine Finger zu zittern anfingen. »Und was sollen wir jetzt tun?«
    »Ich will es wieder zurück«, erwiderte Ida aus ihrer Finsternis.
    Er verstand auf der Stelle, was sie damit meinte. Obwohl ihm die morgendlichen Ereignisse nur noch wie die unscharfen Bilder eines Amateurfilmers im Kopf herumschwirrten, konnte er sich an das ursprüngliche Gefühl des alles überwältigenden Neids in diesem Film sehr gut erinnern. Der Neid auf sie , auf sie beide, als sie noch jung gewesen waren. Deshalb war seine nächste Frage auch eher rhetorisch gemeint.
    »Du willst es wieder zurück? Willst du den Hahn wieder zurück? Oder was willst du wieder zurück?«
    »Alles!« antwortete Ida.

7
     
    A ls er aus dem Schlaf erwachte, sah er die Messer auf dem Küchentisch. Es handelte sich um zwei große Gemüsemesser mit Klingen aus Edelstahl und schwarzen Holzgriffen, wuchtig und eindrucksvoll. Sie schienen funkelnagelneu zu sein, denn ihre Schneiden schienen von solcher Schärfe, daß man sich schon beim bloßen Hinsehen vorstellen konnte, wie sie ein in der Luft schwebendes einzelnes Haar durchtrennten. Ihre Spitzen funkelten unter der Küchenlampe, und diese Reflexionen waren es wohl, die Seichtems geschlossene Augenlider getroffen und ihn schließlich zum Aufwachen gezwungen hatten.
    Ali konnte die Gemüsemesser deshalb en dé tail studieren, weil in Idas

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