Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
hämmerndem Herzen und trockener Mundhöhle erwacht war und in seinem Kopf immer noch die gespenstischen Bilder herumspukten, spürte er sofort die Heilwirkung des Schlafes. Der Kater, die Kreislaufstörungen, das Gefühl des Ausgebranntseins und die halbgaren Selbstmordgedanken waren wie weggeblasen. Er fühlte sich frisch und klar und hatte einen Bärenhunger. Die Wohnung lag im Halbdunkel, nur das Licht in der Küche und eine kleine Leselampe im hinteren Teil des Raumes brannten.
»Ich hatte keine Zei t, Herrn Baron das Sechs-Gänge-M enü zuzubereiten.«
Das pflegte sie mit größter Koketterie immer dann zu sagen, wenn sie innerhalb einer Viertelstunde etwas so Köstliches zubereitet hatte, daß alle Sechs-Gänge-Menüs der Welt dagegen verblaßten. Sie lugte aus der Küche hinter dem Türpfosten hervor, und in dem schummrigen Licht wirkte ihr Gesicht mit dem berühmt berüchtigten Erdbeermund jäh wieder so jung wie damals zu ihren sonnigen Baggerseezeiten. Sie streckte ihm mit der in einem Topflappenhandsc huh steckenden Hand eine Emaille backform entgegen. Darin brutzelte unverkennbar und duftend sein Lieblingsgericht: Lasagne verde al forno.
Und in Anbetracht dieser so vertrauten Dämmerstündchenimpressionen verfiel Ali auf eine übermütige Idee. Ida und er gehörten zusammen, sie waren unzertrennlich, und deshalb würden sie einen Neuanfang wagen. Sie würden die Streitigkeiten und Schmerzen der letzten Jahre einfach vergessen, vielleicht sogar über Patricks Tod hinwegkommen und in wiedererwachtem Gemeinsinn wieder bei Null anfangen. Ganz so wie in ihren anstrengenden Jugendjahren würden sie in dieser Bude zusammenrücken, er würde mit dem Trinken aufhören und die Malpalette wieder in die Hand nehmen, sie würde derweil die leidige Sache mit dem Geld regeln, nur vorübergehend natürlich, sie würden wieder an einem Strang ziehen, sich abstrampeln für den Erfolg, und an kalten Abenden würde es zu heimeligen Szenen kommen und an heißen Sommertagen zu Lust und Liebe. Es würde wieder alles so schön sein wie früher, bevor der Reichtum über sie hereingebrochen war wie ein imposanter, aber giftiger Gewitterregen und bevor sie sich, von allen Zwängen befreit, frei bewegen konnten, doch dabei immer weiter voneinander weg.
Das war wirklich eine grandiose Idee, eigentlich die Lösung aller Probleme, und Ali wußte aus alter Erfahrung noch über die Hebel Bescheid, die er bei Ida betätigen mußte, damit sie für diese Idee ebenfalls entflammte. Selbstverständlich gab es da noch ein paar Schönheitsfehler an diesem Plan ähnlich wie aus dem Gedächtnis gelöschte, uneheliche Kinder in einer Biographie. Der morgendliche Vorfall zum Beispiel oder diese zwei Messer, deren bloßer Anblick einer Neuauflage der vergangenen Seligkeit im Wege standen. Aber er würde schon irgendwie alles wieder zurechtrücken, wenn er erst einmal seinen Hunger gestillt hatte.
»Wie lange habe ich geschlafen?« wollte er wissen.
»Exakt sieben Stunden. Es ist gleich neun Uhr«, antwortete sie und kam mit einem Tablett aus der Küche, das nichts Geringeres als die Gaben des Paradieses zu tragen schien: dampfende Lasagne, gemischter Salat mit edlem Dressing, ein halbes Baguette, ein großes Stück Tiramisu, ein Glas Rotwein, ein Glas Mineralwasser und zwei Orangen.
Ali sah sich angesichts dieser paradiesischen Aussichten außerstande, das weitere Vorgehen in aller Schärfe zu durchdenken. Er aß, nein, er schlang so gierig und so schnell, daß alles auf dem Tablett innerhalb von zehn Minuten in seinem Magen gelandet war. Nur den Rotwein rührte er nicht an. Er befürchtete, daß er ihm schmecken und er dann ein weiteres Glas verlangen würde und dann noch eins und noch eins, bis das gewohnte abendliche Elend wiederhergestellt wäre. Eine innere Stimme, vor der er sich gleichzeitig fürchtete, sagte ihm, daß er heute abend besser nüchtern bleiben sollte.
Ida beobachtete ihn stumm und kettenrauchend mit konzentriertem Blick, als sei sie eine Wissenschaftlerin und untersuche das Verhalten einer neuentdeckten Tiergattung. Ali war es einerlei, denn er hatte seit einer Woche nichts Ordentliches mehr gegessen und genoß das Festmahl bis zum letzten Krümel. Nachdem er die Backform mit dem Rest des Baguettes saubergewischt und sich den letzten Bissen in den Mund gestopft hatte, lächelte er sie bübisch an.
»Hat's geschmeckt?« fragte sie.
Jetzt war er mit seiner Retourkutsche dran.
»Also ein Sechs-Gänge-Menü war das ja
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