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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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Anbetracht seiner in grotesker Haltung posierenden Leiche. Er wollte ein solch ohrenbetäubendes Wehklagen anstimmen, daß sogar diese verdammten alten Gebäude, deren Erbauer längst ebenso von dem schwarzen Nichts verschluckt worden waren, erzittern würden, er wollte heulen und brüllen. Doch da geschah fast dasselbe wie beim ersten Mal.
    Sein Blick wurde abgelenkt. Er wandte den Kopf nach links und sah in der Ferne das Schlitzmaul der Gasse in die Straße hinausragen. Die Finsternis darin war einstweilen gebändigt, denn das fluoreszierende Wunderlicht schwebte wieder in ihr wie eine überdimensionale Neonstange, weißte den sichtbaren Teil der hohen Seitenfronten, verschaffte den Ziegelsteinkanten milde Kontraste und überzog einen Teil des Gehsteigs zaghaft wie der erste Schnee. Diesmal jedoch gab es einen kleinen Unterschied zu der Realität. Ali sah Schatten in der Gasse. Irgend jemand hielt sich darin verborgen, er konnte ihn aus diesem Blickwinkel nicht erkennen, aber die Gestalt schien einen komischen Tanz aufzuführen. Die tänzelnden Schatten flimmerten über die Mauern wie Scherenschnitte von lodernden Flammen. Hin und wieder blinkte der Schein roter, gelber und blauer Lichter auf, stakkatohaft wie in Serie geschaltete Signallampen an einer Straßenbaustelle, was den Eindruck des verrückten Schattentanzes noch verstärkte.
    Die klamme Hand der Angst schnürte Ali die Kehle zu. Er empfand einen namenlosen Schauer vor der Gestalt und ihren wilden Bewegungen. Obwohl er sich nicht vorstellen konnte, wer dort sein Unwesen trieb und was sein Erscheinen bedeuten sollte, kam es ihm so vor, als stehe ihm die Begegnung mit dem schrecklichen Monstrum bevor. Sein Herz pochte so schnell und so laut wie ein außer Kontrolle geratener Boiler, und kalter Schweiß bedeckte seinen ganzen Körper.
    Und dann wurde er zu seinem namenlosen Entsetzen auch noch wie von Zauberhand in Richtung der Gasse geschoben. Ja, er bewegte sich mit einem Mal auf den Gegenstand seines Schauderns zu, aber er ging nicht, noch trug er Rollschuhe oder stand auf einem Vehikel. Trotzdem verkürzte sich der Abstand zwischen ihm und den tanzenden Schatten und den bunten Lichtspielen unaufhaltsam, als würde er von einem dämonischen Sog gezogen. Es war nur noch eine Frage von Sekunden, bis er um die Ecke schweben und der Schreckgestalt von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen würde.
    Je näher er dem diffusen Licht kam, desto deutlicher hörte er nun auch eine unheimliche Stimme. Sie klang metallisch und röchelnd zugleich und schien keinem Menschen zu gehören, dennoch glaubte Ali sie von irgendwoher zu kennen. Doch jedes Nachdenken war unmöglich, mußte er doch bereits alle seine Kräfte aufbieten, um nicht den Verstand zu verlieren. Die krächzend scheppernde Stimme sagte: »Friede auf Erden.« Sagte sie das wirklich? Nein, sie hörte sich eher so an wie: »In Erdlingen bin ich in Frieden.« Aber auch das stimmte nicht, denn, so sehr er sich auch bemühte, eigentlich verstand Ali überhaupt nichts. Vielleicht spielte ihm die Angst akustische Streiche.
    Die hervorspringende Mauer mit dem tanzenden Schattengeist rückte immer näher, Ali konnte kaum mehr atmen und fühlte sich von einer Schocklähmung überwältigt, während die geheimnisvolle Stimme weiter ihre unverständlichen Friedensbotschaften verkündete. Und dann setzte wieder der Geruch ein, der merkwürdige Gestank, den er in Idas Wohnung wahrgenommen hatte, so faulig und modrig, als stiege er aus seit Jahrzehnten verschlossenen Kisten auf, ja, mehr noch süßlich und übelerregend, als habe man in diesen Kisten Kadaver aufbewahrt, und dann …
    … Und dann erwachte er aus diesem Alptraum und erblickte die zwei Gemüsemesser auf dem Küchentisch. Sie hätten eher in einen Hollywoodschocker gepaßt als in Idas Wohnung, doch Ali hatte die Ahnung, daß sie von Ida selbst angeschafft worden waren, während er schlief. Es war immer dasselbe mit Ida: Sie nahm ihm seine Entscheidungen immer ab, stellte ihn vor vollendete Tatsachen, bevor er einen Entschluß fassen konnte. Das war während ihrer gemeinsamen Jahre immer so gewesen, worüber er sich oft gefreut hatte, weil ihm so die Qual der Wahl erspart blieb, noch öfter aber hatte es ihn geärgert. Doch diese Entscheidung - allein die Vorstellung daran ließ ihn erschaudern - stand ja gar nicht zur Disposition. Die übereilte Anschaffung der Messer erinnerte ihn in der Tat an einen billigen Horrorfilm.
    Obwohl er aus dem Traum mit

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