Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
hämisch, als intonierten sie ein Spottlied, »Erdlinge, ich bringe euch den Frieden!«. Dieser abscheuliche Geruch und dieser spöttische Singsang, wiewohl bloße Sinnestäuschungen, irritierten ihn, ließen ihn an seinem Verstand zweifeln und vor Furcht zittern.
Ali hechelte der Silhouette im Wintergarten entgegen gleich einem Huhn, dem man den Kopf abgehackt hat. Und als er bei ihr angelangt war, da funkelte im Schein der Sterne unversehens ein neues Messer auf. Es schien hinter Idas Rücken hervorgekommen zu sein und war seltsamerweise in ihrer Hand. Jetzt haben wir auch eine Waffe, um uns gegen den Angreifer zu verteidigen, freute er sich kurz und spürte doch intuitiv, daß etwas nicht stimmte.
Die Klinge bohrte sich oberhalb des Herzens in seine Brust und blieb dort stecken.
»Aber Ida«, sagte er melancholisch, »aber Ida.« Und komischerweise wieder: »Lauf weg, Ida.« Doch diesmal sehr leise. Ihre Blicke begegneten sich, und der ganz rot und ganz naß gewordene Ali bemühte sich, in den schönen dunklen Augen seiner Frau irgendeine Erklärung dafür zu finden, warum sie das getan hatte. Aber diese Augen verrieten nichts. Sie sahen ihn nur ausdruckslos an wie die einer Puppe, und auch in dem Rest des Gesichts nahm er keine Regung wahr. Ali verstand das alles nicht und fühlte sich maßlos verraten. Und zwar nicht allein von ihr, sondern auch von dem seltsamen Besucher, diesem ihm so ähnlich sehenden Partyclown, zu dem ihn trotz der verrückten Umstände irgend etwas hingezogen hatte. Er ahnte plötzlich, daß er und Ida zusammensteckten, mit ihren großen Gemüsemessern und ihrem unergründlichen Verhalten. Er spürte allmählich, wie sich Kälte in seinem Körper ausbreitete und Feuchtigkeit auf seiner Haut, und er sah die Sterne hinter Idas Kopf, wie sie immer größer und größer wurden, richtige Sonnen waren es mittlerweile, und Ida starrte ihn immer noch so kalt an wie die Schneekönigin, und der Partyclown hinten murmelte wie ein Gebet nur »Nein, Mann, nein«. Ali senkte den Kopf und schaute auf das Messer in seiner Brust herab.
Ali sah aus der Ferne die beiden Schatten an der Panoramascheibe stehen. Er hatte das Messer in der Zwischenzeit gesenkt, weil sein Arm zu schmerzen begonnen hatte. Aber das war nicht sein einziges Problem. Er führte weiterhin einen verzweifelten Kampf mit sich, um den Verwesungsgeruch und den Singsang aus seinem Bewußtsein zu verbannen. Denn beide hatten sich in seiner Wahrnehmung zu einem einzigen grauenerregenden Dauerrauschen manifestiert, dessen Quelle er nicht ausmachen konnte. Und mit jedem Augenblick, der so verstrich, fürchtete er mehr, seinen Verstand zu verlieren.
In dieser ausweglosen Situation half ihm ausgerechnet Ali. Er lenkte ihn ab. Er beobachtete, wie er nach seiner Brust griff, das Messer herauszog und scheppernd auf die Fliesen fallen ließ. Dann vollführte er geschmeidig wie ein Ballettänzer mit dem Oberkörper eine elegante Drehung und verschwand nach rechts aus dem Sichtfeld. Man hörte ihn die metallene Wendeltreppe herunterpoltern, die jeden Tritt mit drohendem Hallen verstärkte. So ein fixer Junge, dachte Ali nicht ohne Stolz, er gibt einfach nicht auf! Gleich darauf meldete sich jedoch die Vernunft in ihm zurück, und er lief zu Ida.
»Warum hast du ihn nicht zurückgehalten?« fragte er sie mit Panik in der Stimme. Dabei bemerkte er, daß die Fassade der eiskalten Meuchelmörderin erste Risse zeigte. Ida zitterte am ganzen Leib, und ihr seelenloser Blick schien eher daher zu rühren, daß sie unter Schock stand.
»Ich weiß nicht. Es ging alles so schnell«, entgegnete sie. »Ich dachte, er würde jeden Moment zusammenbrechen.«
»Wenn er zur Straße hinausläuft, sind wir verloren.«
»Ich vermute, er hat sich irgendwo da unten verkrochen.«
»Okay, dann werden wir ihn suchen. Schalt die Taschenlampe ein.«
Ida holte die Taschenlampe aus ihrem Trenchcoat und knipste sie an. Im Abglanz des Lichtstrahls sah er, daß die Vorderseite ihres Mantels mit Blutspritzern besprenkelt war. Sie liefen zur Wendeltreppe, aber bevor sie nach unten stiegen, hielt Ali sie mit einer ausgestreckten Hand auf.
»Was ist mit ...« Er brach ab. »Mit der jungen Ida?«, wollte er sagen, doch seine Zunge weigerte sich, es auszusprechen, als handelte es sich um eine Blasphemie.
»Sie schläft«, sagte sie. »Für immer. Ich habe es für dich getan.«
»Für mich? Ich dachte, du wolltest wieder alles zurückhaben.«
»Ich wollte es, weil du es
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