Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
hilflosem Ausdruck seine Suche. Warum mußtest du ihn auch entkommen lassen! beschimpfte er sie im Geiste mit brennender Wut. Vielleicht aber war es doch nicht so schlimm. Der junge Ali würde bei den schweren Verletzungen, die er hatte, so oder so langsam verbluten - wenn ihm ein Nachbar nicht längst Schutz geboten und Krankenwagen und Polizei verständigt hatte. Und da er sich offenkundig so perfekt versteckt hatte, daß jede Suche nach ihm ohne Erfolg blieb, würde er eben in seinem verdammten Versteck irgendwann sterben. Folglich war es sehr wahrscheinlich, daß die Leiche auch tagsüber unentdeckt bleiben würde. Sicher, irgendwann würden sie sie schon ausfindig machen, aber so, wie die Dinge lagen, konnten sie sich damit Zeit lassen. Ali wollte seine aus der Verzweiflung geborene Theorie gleich Ida erzählen und schritt los.
Irgend etwas Glitschiges sprang ihn von hinten an. Es bedeckte seine Augen wie bei Blindekuh, und im gleichen Moment wußte Ali, daß es die blutverschmierten Hände von Ali waren. Die Finger drückten auf seine Augenlider wie die eines sadistischen Masseurs. Du hättest mit einem Ast in dem Gebüsch herumstochern sollen, statt es nur in Augenschein zu nehmen, tadelte er sich selbst. Dabei versuchte er mittels heftigem Kopfrütteln dem schmerzlichen Griff zu entkommen.
»Hör auf, du wirst sowieso sterben«, ächzte er und langte mit den Armen zu dem Angreifer hinter seinem Rücken.
»Aber warum? Warum ...?« röchelte sein jüngeres Ich wie aus dem einfältigen Sprachchip eines Spielzeugs.
Schließlich versetzte er seinem Gegner mit dem Ellenbogen einen wuchtigen Stoß, was zwar bewirkte, daß dessen Finger von seinen Augenlidern rutschten, aber den Kampf keineswegs beendete.
Denn sobald er sich herumgerissen hatte, fiel der andere Ali mit der ganzen Kraft, die noch in seinen Gliedern steckte, über ihn her und hielt ihn wie in einer leidenschaftlichen Umarmung fest an sich gepreßt. Alles an ihm, das Hemd, die Hose, das Gesicht, die Haare, war mit Blut beschmiert. Er sah aus, als hätte er sich als Modell für diese Körperbemalungsspektakel zur Verfügung gestellt. Der ältere Seichtem roch den spezifischen Geruch des Lebenssaftes, der aus dem Körper des anderen immer noch hervorschoß wie Wasserstrudel aus einem defekten Abflußrohr beim Platzregen, metallhaltig, sauer und, ja, irgendwie sehr persönlich, wie ein intimer Körperduft. Es begann ein sonderbares Ringen, wobei der angeschlagene Ali ihm das Messer aus der Hand zu reißen versuchte. Sie balgten sich wie kleine Kinder um das Ding. Ali bemühte sich, den Verletzten zu Boden zu werfen, doch dieser besaß mehr Ausdauer, als Ali erwartet hatte. Immer wieder bäumte er sich auf und umklammerte mit beiden Armen seinen Gegner wie ein in die Enge getriebener Boxer.
Ali hätte es nie für möglich gehalten, daß er sich selber jemals so nahe kommen würde. Aber war dieser blutüberströmte Körper überhaupt er selbst? Er hatte die Vergangenheit bereits verändert, sie zu seiner Gegenwart gemacht, und so gewiß wie er diese Zeit nun niemals wieder aufgeben würde, so gewiß war es auch, daß dieser blutige Klumpen Fleisch nicht mehr in seine Gegenwart gehörte. Er empfand plötzlich einen überwältigenden Haß gegen den jungen Ali, gegen den widerlichen Egoismus, mit dem er sein Leben und sein eben erst gefundenes Paradies bis zum letzten Blutstropfen verteidigte. Und gegen seinen Übermut, mit dem er ihm zunächst entgegengetreten war. Er mußte endlich weg!
Großer Gott, erlöse mich! schrie er stumm in sich hinein, Hilf mir und mache dieser elenden Geschichte endlich ein Ende! Da plötzlich sah er Alis blutbesudeltes Gesicht ganz nah vor sich, das für einen Augenblick keine Spur der Verzweiflung trug, sondern so friedlich und ruhig wirkte wie eine stille Wasseroberfläche. Ein entrücktes Lächeln schien auf seinen Lippen zu liegen, und die klaren Augen blickten durch seine eigenen hindurch direkt in die tiefsten Tiefen seines Herzens.
»Nein!« sagte der blutige Ali mit einer Stimme, die ihn erneut an jene des unsichtbaren Monsters aus seinem Alptraum erinnerte. Daraufhin explodierte der Haß in ihm noch mächtiger als zuvor, es war geradezu eine Supernova des Hasses, was er spürte, und mit einer Kraft, die er noch nie zuvor verspürt hatte und deren Quelle in einer jenseitigen Sphäre zu liegen schien, griff er seinen Gegner um die Taille, wuchtete ihn wie ein Catcher über seinen eigenen Kopf und schleuderte ihn in
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