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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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Es hörte sich an, als breche ein Schiff im Orkan auseinander.
    Man hörte, wie im Büro ein Stuhl zurückgeschoben wurde, Schritte waren zu vernehmen, begleitet von undeutlichem Gemurmel, und mit einem Mal kam Ali um die Ecke - atemberaubend, wie jung und gut er aussah! - und starrte ihn vollkommen entgeistert an. Und da wußte Ali, daß er das, was er vorgehabt hatte, nicht würde tun können.

9
     
    A lis Anfangsreaktion war noch stereotyp. Er dachte - wenn man den Vulkanausbruch von panischen Gedanken in seinem Schädel überhaupt als Denken bezeichnen konnte -, daß er in den Alptraum eines jeden wohlhabenden Hausherrn geraten sei: Ein Einbrecher stand urplötzlich im Nebenzimmer, auf frischer Tat ertappt, oder schlimmer noch: ein Irrer, der sich durch sein blitzendes Messer nicht gerade als einer von der harmlosen Sorte zu erkennen gab. Als habe eine reißende Pranke in seine Eingeweide gegriffen, jagte ein höllischer Schauder durch ihn hindurch, seine Mimik erstarrte, und tausend Flucht- und Angriffszenarien schossen ihm durch den Sinn, ohne daß er sich aus seiner Lähmung hätte lösen können.
    Das las Ali in Alis Erscheinung, als er ihm gegenüberstand. Er trug ein weißes Boss-Hemd mit aufgeknöpften Manschetten und eine changierende schwarze Hose, die Gesichtshaut war faltenlos, der Blick klar und direkt, und der Dreitagebart unterschied sich von seinem eigenen angegrauten, borstigen Bewuchs wie ein akkurat getrimmter Rasen von der verwahrlosten Grünfläche eines Wohnsilos. Ali spürte instinktiv eine Nähe zu diesem umwerfend attraktiven Mann, der er doch selbst einmal gewesen war. Eine Nähe wie zu einem heimgekehrten Sohn, den man zuletzt als Kind gesehen hat. Er wollte ihn anfassen, vielleicht sogar umarmen und küssen. Wie mochte das wohl sein, wenn man sich, in der besten Form, in der man sich je befunden hatte, spürte, roch und herzte? Zumindest hätte er ihm gern durch die Haare gekrault, diese wundervollen schwarzen Haare, die in einer geschmeidigen Kaskade bis zu den Schultern fielen und im Dämmerlicht fast veilchenblau leuchteten. Dabei empfand er keinen Neid auf ihn, im Gegenteil, am liebsten hätte er ihm zu seinem Glück gratuliert. So wie man seinem Sohn aufrichtig gratuliert, wenn der es weiter gebracht hat, als man selber.
    Aber dann registrierte Ali wie sich erste Sprünge in diesen rosarot getönten Überlegungen auftaten wie in einem Spiegel, der bis jetzt nur den schönen Schein gezeigt hat, und aus dessen Sprüngen schließlich die Wirklichkeit hervorstrahlte. Denn der im Entsetzen gefrorene Gesichtsausdruck seines Gegenübers wandelte sich mit einem Male. So erschreckend die Begegnung mit einem messerschwingenden Eindringling auch sein mochte, die Identität des Eindringlings barg das tausendfache Grauen: Ali erkannte Ali, sein älteres, schmuddeliges, offenkundig auch halbverrücktes, doch eindeutig erkennbares Ich!
    Aus dem Schreckensgesicht wurde nun ein Neugiergesicht, wenn auch immer noch in Alarmbereitschaft, es beugte sich ein wenig vor, um Details zu erkennen und Zweifel auszuschließen, es runzelte die Stirn und strich mit der Zunge nervös über die Lippen, und in dem ungläubigen Blick registrierte Ali immer neue Fassungslosigkeit.
    »Verdammt, was soll der Blödsinn!« stieß der junge Ali schließlich hervor und schüttelte den Kopf. »Ist das ein schlechter Witz, oder was ? «
    Ali hätte ihm gerne etwas Geistreiches entgegnet, vielleicht eine philosophische Rede über den Aberwitz des Lebens im allgemeinen und die Unerklärlichkeit der Welt im besonderen gehalten. Aber mit seiner Arti kulationsfähigkeit               hinsichtlich komplexer Gedankengänge war es momentan nicht weit her. Deshalb wiederholte er einfach, was Ida vor einigen Stunden zu ihm gesagt hatte: »Keine Angst«, stammelte er. »Du wirst in mir weiterleben.«
    »Ist das eine Maske, so ein Filmgummizeug?« beharrte Ali und streckte eine Hand nach ihm aus, um sein Gesicht zu berühren. Ali vollführte mit dem Messer eine flinke Bewegung, als verscheuche er eine Fliege, woraufhin der andere Ali furchtsam zurückwich. Aber wiederum nicht so furchtsam, daß er mit dem Starren aufgehört hätte. Sein Blick suchte weiterhin nach verräterischen Einzelheiten, die diese absurde Begegnung als Maskerade hätten entlarven können, als einen Scherz von Freunden zu ihrem Einzug in das neue Haus. Gab es nicht diese Doppelgängeragenturen, die billige Zweitausgaben von Prominenten für Werbe-

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