Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
erledigen würde: Er war sich sicher, daß Ali und Ida in einem Jahr längst verwest wären.
Ali kletterte aus der Grube, setzte sich an den Erdrand und versuchte, zur Ruhe zu kommen. Am besten war es wohl, wenn er sich ab sofort Idas Ansichten zu eigen machte und die Morde eben nicht als Morde betrachtete, sondern als eine Art Austausch zugunsten von etwas Besserem, quasi als eine bizarre Steigerung der Lebensqualität. Gleichzeitig erkannte er freilich auch die unübertreffliche Idiotie, die dieser Idee zugrunde lag, aber wie trällerte man doch in der Operette so schön: »Glücklich ist, wer vergißt, was nicht mehr zu ändern ist.« Außerdem war es ja auch das letzte Mal gewesen.
Er macht sich daran, den aufgehäuften Erdhügel neben sich in die Grube zurückschaufeln. Da hatte er mit einem Mal das Gefühl, daß hinter seinem Rücken etwas Befremdliches vorging, und vermeinte ein Geräusch zu hören. Er wandte sich um und sah, wie Ida aus der Kellertür in den mit Pflastersteinen ausgelegten Vorhof trat. Das Geräusch war das ihrer Schritte gewesen. Aber trug sie nicht Turnschuhe? In dem schwachen, aus der Türe herausquellenden Licht sah er nur undeutlich ihre Silhouette, und soweit er aus dieser Distanz erkennen konnte, hielt sie in der rechten Hand einen klobigen Gegenstand, der eigentlich viel zu schwer für sie schien. Sie schaute sich kurz suchend um und marschierte dann geradewegs auf ihn zu. Merkwürdig, er hatte sie eben gar nicht aus dem Haus kommen sehen. Obwohl er den Bereich zwischen Küchen- und Kellertür nicht immer im Blick gehabt hatte, war er fest davon überzeugt, daß er Bewegungen dort eigentlich hätte registrieren müssen.
Schon im nächsten Moment lüftete sich das Rätsel auf eine erschreckende Weise. Es war nicht Ida, die sich da mit diesem schweren Apparat auf ihn zubewegte, sondern ein Mann, ja, ein Fremder! Und er kam direkt aus ihrem Keller herausspaziert, geradeso, als hätte er dort schon die ganze Zeit herumgelungert und wollte jetzt schnell mal draußen nach dem Rechten sehen. Es gab keinen Zweifel, so wie er sich bewegte, plump und bleiernen Schrittes, so wie seine Billardkugelglatze im Sternenlicht matt glänzte, so wie seine Umrisse auf einen kantigen Fleischkoloß hindeuteten, so wie seine bullige, ja brutale Erscheinung überhaupt wirkte, handelte es sich eindeutig um einen sehr starken Mann. Vielleicht der Schwarze Mann , der gekommen war, um sie beide ob ihrer Sünden zu holen! Starr vor Entsetzen verfolgte Ali die Schritte des monströsen Racheengels, der sich langsam und mit sich gemächlich wiegendem Oberkörper auf ihn zu bewegte. Ali fühlte sich in einen düsteren Fantasy-Comic strip versetzt. Seine Kehle wurde trocken, und ein schmerzhaftes Kribbeln bemächtigte sich seines Körpers, als hätten Millionen von roten Ameisen von ihm Besitz ergriffen. Und die ganze Zeit dachte er nur: Das ist nicht wahr! Das ist nicht wahr! Das ist nicht wahr! ...
Der Schwarze Mann hatte bereits fast den gesamten Garten der Länge nach durchquert und war nun nur mehr wenige Meter von ihm entfernt, als Ali bemerkte, daß aus seiner rabenschwarzen Kluft, bestehend aus einer wüsten Lederjacke und einer Lederhose, doch etwas Weißes hervorstach. Und als er noch etwas näher kam, vermochte er dieses Weiße endlich zu identifizieren, nämlich als große leuchtende Lettern, und las: »Fuck up«. Ehe er sich von dieser Überraschung erholt hatte, sah er auch schon das Stacheldrahttattoo auf seinem kahlen Kopf, die Doc Martens an den Füßen, das schüchterne Grinsen in seinem Mastino-Gesicht und die dickbäuchige Tischleuchte in seiner Hand, und wie ein eiskalter Wasserschwall mitten in der heißesten Wüste ergoß sich plötzlich die Erkenntnis über ihn, und er wußte: Der Schwarze Mann war Bibo, der Chef der »Vierer Bande«, der zurückgekommen war, um ihm eine beschissene Lampe im Wert von einer Tafel Schokolade zu überreichen!
Auf einmal kam die Erinnerung glasklar zurück: Am Abend nach dem Einzug hatte er im Büro nochmals und nochmals den Kaufvertrag und die vielen furchteinflößenden Rechnungen unter die Lupe genommen, während Ida sich schon schlafen gelegt hatte. Es mußte wie jetzt nahe Mitternacht gewesen sein, als es klingelte. An der Haustür erwartete ihn Bibo, jener sympathische Umzugshelfer, den er trotz seines Skinhead- Outfits als einen brillanten Jazzkenner, schrägen Politphilosophen und außerdem und hauptsächlich als ein harmloses Kalb kennengelernt hatte.
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