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Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)

Titel: Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirincci
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einer Grube stand, in der sich zwei gemetzelte Körper stapelten. Und sein blutbeflecktes Äußeres ließ nicht gerade den Schluß zu, daß er diese in seinem hübschen Garten soeben zufällig entdeckt hatte. Bibo mochte vielleicht ein Kalb sein, aber eins war er bestimmt nicht: blind!
    Bibo machte vor ihm halt und setzte sein genanntes Gegrinse auf. Kein Wunder, daß Ali am Morgen wegen seiner jugendlichen Erscheinung ganz schön gestutzt hatte. Der Kerl war wirklich jung - so wie er es eigentlich hätte auch sein müssen. Sein wie aufgeblasen wirkendes Gesicht strotzte geradezu vor Jugendlichkeit. Und trotz seines Übergewichts wirkte Bibos Körper fest, sehnig und voller Kraft. Der überfreundliche Umzugshelfer blickte Ali ob der späten Störung um Nachsicht bittend an.
    »'tschuldigung, daß ich noch mal auftauche, Herr Seichtem«, spulte er den bekannten Text ab. »Aber das haben wir noch im Laderaum des Lasters entdeckt, nachdem wir weg waren. Dachte, Sie werden's vermissen. Und da ich heut abend zufällig noch mal in der Nähe war und zuerst oben bei Ihnen und dann im Keller Licht gesehen habe … «
    Er hielt ihm lächelnd die alte Leuchte entgegen, begierig auf ein Lob wie ein Tanzbär auf die Süßigkeit nach seinem Kunststück. Ali sah ihn nur mit leerem Blick an, nichts regte sich in seinem zu einer Maske erstarrten Gesicht. Er wußte, daß selbst ein so großartiger Simpel wie Bibo nicht derart schwer von Begriff sein würde, daß er nicht erkennen könnte, was vor sich ging. Wenn er eben nicht so überrascht gewesen wäre, sondern schnell reagiert hätte, hätte er ihn auf halbem Wege abfangen und weglocken können. Wobei er bei der Erklärung für das Blut an seinen Kleidern immer noch gehörig ins Schwitzen gekommen wäre. Jetzt war es für jede Art von Erklärungsversuch zu spät.
    Tatsächlich, allmählich bröckelte Bibos Fassade der Naivität, einige Zahnräder in seinem stämmigen Schädel schienen sich mit einem Male langsamer zu drehen oder gar zu blockieren, die Augen weiteten sich fragend, der dicklippige Mund tat sich auf, ohne einen Laut hervorzubringen, und ein Schatten entsetzlicher Ahnungen legte sich auf die eben noch so frohgemute Miene. Der Blick wurde nun unstet. Fahrig tastete er Alis blutbeflecktes Äußeres ab, dann schweifte er wieder ab, als sei er von einem unwiderstehlichen Sog abgelenkt, und fiel auf die Grube, fuhr wieder hoch und bohrte sich konsterniert in die kalten Augen seines Gegenübers, glitt zu dem Erdhaufen am Grubenrand, danach abermals zu der Grube und immer so fort. »Noch so spät bei der Gartenarbeit, Herr Seichtem?« sagte Bibo dabei wie in Trance, aber es hörte sich an wie der miserable Vortrag eines miserablen Schauspielers. »Noch so spät bei der Gartenarbeit, Herr Seichtem?« Er schien in einen Abgrund zu stürzen, ohne je unten aufzuschlagen.
    Ali sah ein, daß er jetzt rasch handeln mußte. Phrasen wie »Es ist nicht so, wie Sie denken«, »Ich kann Ihnen alles erklären« oder gar »Finden Sie es auch so widerlich, wenn Leute zu viel trinken?« schossen ihm wirr durch den Kopf, ohne daß er ernstlich in Erwägung zog, sie auszusprechen. Statt dessen konnte er sich nicht verkneifen, sich abzuwenden und die Stelle zu betrachten, die Bibo derart in Bann zog. Es war wirklich kein erfreulicher Anblick. Alis und Idas blutüberströmte, in grotesken Verrenkungen daliegende Körper erinnerten ihn an Bilder erschlagener Robben, und daß in der Grube weder Schnee noch Eis vorhanden war, ließ die Sache noch bestialischer erscheinen. Zumal er dieses Bild nun gewissermaßen mit Bibos Augen sah und ihm das Entsetzen stärker als je zuvor in die Glieder fuhr. Er mußte schon sehr gute Argumente auffahren, um ihm dieses Bild aus dem Gedächtnis zu vertreiben.
    »Fünfzigtausend!«, platzte es schließlich aus ihm heraus.
    »Was, was, Herr Seichtem?« sagte Bibo immer noch wie in Trance, und die Lampe glitt ihm aus der Hand.
    »Ich biete Ihnen fünfzigtausend Mark an, wenn Sie das hier vergessen.« Und dann bemühte er doch eine Phrase: »Es ist nämlich nicht so, wie Sie denken.«
    »Ich verstehe nicht, was Sie meinen, Herr Seichtem«, erwiderte Bibo erwartungsgemäß und wich einen Schritt von ihm zurück. Sein entgeisterter Ausdruck verriet, daß er sich am liebsten in Luft aufgelöst hätte, um diesem Alptraum zu entfliehen.
    Ali hatte kurz einen niederträchtigen Gedanken. Er fragte sich, wo diese verdammten zwei Messer momentan steckten. Eines bestimmt noch

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