Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
Er sah es seinem ausweichenden Blick und dem hilflosen Lächeln in seinem kürbisdicken Gesicht an, daß es ihm Unbehagen bereitete, ihn zu so später Stunde zu stören.
»'tschuldigung, daß ich noch mal auftauche, Herr Seichtem«, hatte er gesagt. »Aber das haben wir noch im Laderaum des Lasters entdeckt, nachdem wir schon weg waren. Dachte, Sie werden's vermissen. Und da ich heute abend zufällig noch mal in der Nähe war und oben bei Ihnen Licht gesehen habe ...«
Er hatte ihm freudestrahlend die alte, vollends von Grünspan zersetzte Jugendstilleuchte vor die Nase gehalten, als wäre sie sein verlorengegangenes Portemonnaie mit Geldbündeln drin. Das Ding verdankte sein Fortleben einem gemeinsamen Trödelmarktbummel am Anfang ihrer Beziehung und hatte, soweit er sich erinnern konnte, die wenigen Münzen gekostet, die sich noch in ihren Hosentaschen befunden hatten. Ursprünglich war von Ausbesserung die Rede gewesen, wozu sich jedoch keiner von ihnen im Lauf der vielen Jahre hatte aufraffen können. Er hatte keinen blassen Schimmer, weshalb sie diesen Schrott mit in die Umzugssachen gepackt hatten. Die Lampe würde im Müll landen, so oder so.
Bibo hatte nach abgestandenem Schweiß und nach Bier gestunken, was den Schluß zuließ, daß er erstens nach seiner herkulischen Umzugsarbeit nicht mit Wasser und Seife in Berührung gekommen war, und zweitens, daß er mit »in der Nähe« nur eine miese Spelunke gemeint haben konnte. Und immer wenn sich Ali Gedanken an Alkohol aufdrängten, hatte er das unstillbare Verlangen, sich selbst etwas zu trinken zu gönnen. Deshalb hatte er für einen Moment überlegt, ob er Bibo auf zwei oder drei Flaschen Bier hereinbitten sollte, und auch der erwartungsvolle Blick des unerwarteten Gastes hatte ihm verraten, daß der Finderlohn am besten auf diesem Wege abgegolten werden sollte. Aber dann hatte er sich beherrscht und ermahnt, zumindest diese Nacht des Bilanzierens nicht in ein Besäufnis münden zu lassen. Er hatte sich artig bei Bibo bedankt, die Tischleuchte entgegengenommen und ihn mit dem Versprechen verabschiedet, ihn und seine Freunde zu der in Bälde stattfindenden Einzugsfete einzuladen.
Das war damals. Und damals war heute. Was war also geschehen, daß Bibo mit dieser überflüssigen Lampe diesmal im Garten stand? Seichtem hatte zum Geschehnisablauf eine gewisse Theorie, und die hörte sich verdammt logisch an: Wie schon vor zehn Jahren hatte Bibo im Büro Licht brennen gesehen und dann an der Haustür geklingelt. Doch nun lagen die Dinge anders. Er, Ali, hielt sich nicht im Büro, sondern im Garten auf, so daß er die Klingel nicht hören konnte. Ida war zwar drinnen, aber sowohl der Schock über das Gebimmel zur Unzeit als auch die korrekte Annahme, daß der nächtliche Besucher über das viele Blut an ihrer Kleidung und auf dem Dielenboden nicht schlecht staunen würde, ließen sie angstvoll und mit angehaltenem Atem in Reglosigkeit verharren. Bibo hatte danach vielleicht noch einmal geklingelt, ein bißchen abgewartet, es dann jedoch aufgegeben und kehrtgemacht. Beim Verlassen des Vordergartens war sein Blick mit Sicherheit auf die leicht geöffnete Kellertür gefallen, und gleich darauf hatte er das aus dem Spalt hervorflutende Licht bemerkt. Er wähnte die Seichtems im Keller, vermutlich beim Deponieren der letzten, nicht zum noblen Domizil passenden Hausratstücke. Er stieg die Steinstufen hinunter, betrat den Keller, weil er aber drinnen niemanden ausfindig machen konnte, durchquerte er den gesamten Hauptgang, bis er schließlich im Garten auftauchte.
Wie hatte er diese merkwürdige Begebenheit von damals nur vergessen können? Und wie hatte Ida sie nur vergessen können, die sich doch ihres pedantischen Erinnerungsvermögens bezüglich dieses besonderen Termins so rühmte? Denn er glaubte sich entsinnen zu können, daß er ihr die Geschichte am nächsten Tag erzählt hatte und sie beide über die Rettung des »kostbaren Stücks« durch den tapferen Bibo herzlich gelacht hatten. Die Vernachlässigung solch brisanter Details war unverzeihlich, und die Summierung dieser Gedächtnislücken drohte ihnen nun zum Verhängnis zu werden. Die Tatsache nämlich, daß es sich bei der nächtlichen Erscheinung nicht um den Schwarzen Mann handelte, wirkte zwar im ersten Augenblick beruhigend, doch entstand dadurch ein neues, vielleicht sogar noch gefährlicheres Problem. Trotz seiner kurzfristigen Entspannung wurde Ali sich mit einem Male bewußt, daß er am Rande
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