Die Tür (Die Damalstür) - Sonderedition (German Edition)
Arbeit Unterschiede aufweist. Man ist einfach weg vom Fenster, gleichgültig was danach in der Welt der Lebenden noch passiert! Es möge dir jedoch ein Trost sein, daß die meisten Menschen keine Spuren in der Nachwelt hinterlassen, geschweige denn lebendige 1:1-Duplikate von sich selber, wie es dir gelungen ist. Na und, was habe ich denn davon, denkst du jetzt. Da hast du sicherlich recht, aber wir müssen alle einmal sterben, und nach ein paar Jahren trügerischen Glücks hätte dich sowieso ein ziemlich deprimierendes Leben erwartet, am Ende vielleicht sogar der Selbstmord. Insofern bin ich dein Retter gewesen. Du bist gegangen, ich bin zurückgekehrt, und diesmal werde ich für dich alles richtig machen. Du wirst in mir wirklich weiterleben, aber so, wie du es dir immer erhofft und erträumt hast, ohne in die Fallen des Schicksals hineinzutappen. Bitte versuch mich zu verstehen, Ali.
Auf seine Art hatte Ali für den Toten ein Gebet gesprochen, das merkte er jetzt. Zugegeben, es war ein absonderliches Gebet gewesen, aber dennoch fühlte er sich irgendwie reingewaschen, obwohl er mit religiösen Riten sonst nicht viel anfangen konnte. Er stieg aus der Grube, ließ Hacke und Schaufel auf den Rasen fallen, erklomm die Terrassenstufen und betrat das Haus. Er fand Ida tatsächlich mit gekrümmtem Rücken und einem Lappen in der Hand beim Aufwischen des Bodens vor, neben sich einen Plastikeimer voll mit schlammig aussehendem Wasser. Sie schauten sich kurz wortlos an und wußten, daß sie sich nun auch um die tote Ida kümmern mußten.
Als sie schließlich im Schlafzimmer standen, fühlte sich Ali beim Anblick der Toten, als hätte man ihn mit einem Knüppel ins Gesicht geschlagen. Zwar hatte Ida die Leiche auf dem Bett in ein Laken gehüllt, doch ähnelte dieses inzwischen einem in Färbungsmittel eingelegten Fetzen. Das aus den vielen Stichen gedrungene Blut hatte den Stoff in einen schwärzlich schimmernden, triefend nassen Umhang verwandelt, aus dem der Kopf halb herausschaute. Idas junges, hinreißendes Gesicht hatte vollends sein ursprüngliches Aussehen verloren. Trotz der vielen zurückliegenden Jahre konnte er sich an das damalige Gesicht erinnern, das er auf unzähligen Erinnerungsfotos festgehalten und immer wieder betrachtet hatte. Um so heftiger war der Schock, als er sah, daß dieses Gesicht sich im Tode so spektakulär verändert hatte. Blaß und aufgedunsen war es, Augen und Lippen geöffnet wie zum brüllenden Protest, aber auch gleichzeitig so unbeseelt, nichts weiter als eine theatralische Pose, und häßlich, so abgrundtief häßlich. Er mochte lieber nicht ergründen, wie es unter dem Laken aussah. Denn er wußte nicht, wie er dann diese Bilder jemals wieder aus seinem Bewußtsein verdrängen könnte.
Ali würgte, ging zum Bett und bedeckte das Gesicht der Toten mit einer Ecke des Lakens. Dann forderte er Ida mit einem Nicken auf, mit anzufassen. Sie schleppten die eingehüllte Leiche gleich einer in der Mitte geknickten Teppichrolle in den Flur und danach die Wendeltreppe hinunter. Dabei befreite sich der Kopf aus dem Tuch und schlug immer wieder gegen die Stufen: Bamm! Bamm! Bamm! Zudem drang aus dem toten Körper soviel Blut, daß sie ständig befürchten mußten, darauf auszurutschen und selber einen tödlichen Unfall zu erleiden. Das Reinemachen von vorhin war völlig sinnlos gewesen, denn nun sahen die Böden besudelter denn je aus. Das Gewicht der Leiche machte ihnen zu schaffen, und sie stöhnten und fluchten, verhoben sich und stießen sich an spitzen Kanten, stolperten und rempelten die tote, beharrlich erdwärts drängende Last gegen Möbelstücke, letzten Endes aber schafften sie sie in den Garten.
Nachdem die Leiche endlich neben der Grube abgelegt worden war, eilte Ida wieder ins Haus zurück, um ihre gerade zunichte gemachte Säuberungsaktion von vorne zu beginnen. Ali stieg mit gespreizten Beinen in die Grube, die nun gar nicht mehr so groß wirkte, und wuchtete auch Idas Leiche herunter. Die beiden Körper paßten nicht nebeneinander hinein, so daß Ida halb über ihren toten Mann gestapelt werden mußte. Das würde bei einem Grab, das ohnehin nicht die erforderliche Tiefe besaß, im Frühling und Sommer für verdächtig süßliche Gerüche über der Erdoberfläche sorgen. Doch glaubte er den Gestank durch Anpflanzung besonders intensiv duftender Blumen an dieser Stelle weitgehend neutralisieren zu können. Zudem war er überzeugt, daß sich die Sache am Ende ganz von selbst
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