Die Tuerme des Februar - Phantastischer Roman
dessen Hilfe du hier wegkannst?«
Ich gab keine Antwort.
»Das WORT, wodurch du zurückkannst?«
»Nein, das habe ich doch bereits gesagt.«
»Aber wenn du es wüsstest, Tim, würdest du dann nicht den Wunsch haben, es auszusprechen? Und dann wärest du weg und könntest erst in vier Jahren wiederkommen.«
»Ich erinnere mich aber nicht an das WORT«, sagte ich, »und selbst wenn es so wäre – was soll’s? Ich weiß nicht mal, wann der 1. April ist – das heißt, wann dort der 1. April ist.«
Nun schaute mich Téja zum ersten Mal an. »Wenn du weggehst«, sagte sie klar und deutlich, »möchte ich nicht vier Jahre lang auf dich warten.«
»Ich will ja überhaupt nicht weg!«, rief ich. »Ich will nur wissen, wer ich bin beziehungsweise war. Ist das denn so schlimm? Ich möchte nicht anders sein als ihr.«
»Wenn man aus einer anderen Welt kommt, dann ist man einfach anders als wir«, unterbrach mich Jan. »Darum geht es ja gerade. Solange du von dieser anderen Welt nichts weißt, bist du an dem Ort, an dem du dich zurzeit befindest, nämlich bei uns, durchaus zu Hause. Und darum bin ich noch immer der Meinung, dass du mit diesem ewigen Suchen nach ›früher‹ aufhören solltest – weil dieses ›früher‹ etwas ›anderes‹ ist. Das heißt, dass du deine beiden Tagebücher wegwerfen musst. Das Wenige, an das du dich erinnerst, ist schon mehr als genug. Es ist sogar sehr viel: Du kannst hören, sehen, fühlen, dich bewegen; du kannst denken und deine Gedanken aussprechen oder niederschreiben … Wenn jedoch durch das Tagebuchschreiben Erinnerungen aus einer anderen Welt auftauchen, dann ist es durchaus möglich, dass dir diese Welt immer fremder wird. Was wird dann letztlich aus dir werden? Wirst du dich wie ein Staatenloser fühlen, ohne Heimat, oder wie ein Landstreicher, für immer aus beiden Welten verbannt? Möglicherweise wird dir das WORT noch einfallen; und ich frage dich nochmals: Wirst du dann wohl die Kraft haben, es nicht auszusprechen?«
»Doch nur, um zu wissen, ob …«, flüsterte ich.
Jan erhob sich. »Lass dir das noch einmal durch den Kopf gehen«, sagte er, »aber bitte nicht zu lange, mein Junge.«
Er ging hinaus. Téja blieb da. Ich starrte auf den Teppich, bis die Muster vor meinen Augen zu tanzen begannen; ich bekam Angst, dass zwischen den Zeichen und Figuren plötzlich das WORT erscheinen würde – dann schloss ich die Augen und wusste, dass Jan Recht hatte: Wenn ich das WORT kenne, werde ich es wahrscheinlich aussprechen wollen.
Ich tastete nach Téjas Hand und hielt sie fest. »Ich bin nicht vollständig«, flüsterte ich. »Möchtest du mich so haben, wie ich bin, so unvollständig? Ach, warum kann es nicht anders sein?«
Téja rückte ein wenig näher und schmiegte sich an mich. »Denk an das Axiom«, flüsterte sie. »Es gibt mehr Welten als diese. Aber ich bin nun einmal nur hier in dieser Welt … Hast du das denn nicht verstanden? Die meisten Leute hier sind der Meinung, dass jeder in seiner eigenen Welt bleiben sollte. Du müsstest zurück in die deine und ich müsste in meiner bleiben. Man wird uns trennen wollen.«
»Wenn ich das WORT wüsste, würden wir beieinander bleiben können – in welcher Welt auch immer«, sagte ich.
Sie umfasste mich plötzlich mit einem eisernen Griff, so dass sich ihre Nägel in meinen Arm bohrten; dann ließ sie mich abrupt los und richtete sich auf. »Sag das nicht noch einmal«, sagte sie und es klang fast wie ein Zischen. »Ich gehe nicht mit dir in eine andere Welt. Das ist unmöglich und ich werde es nie, nie tun!«
»Aber ich soll tun, was du willst, nämlich hier bleiben!«
Téja stand auf. »Ich habe dafür gesorgt, dass du zu den Türmen kamst, dass du den Turmwächter gefunden und deine verlorenen Seiten wiederbekommen hast. Und zwar nicht meinetwegen, sondern nur, weil du es so wolltest. Und was hat dir das alles genutzt? Überhaupt nichts! Jan hat Recht; wirf dieses elende Tagebuch weg – jedenfalls wenn du hier bleiben möchtest. Und falls du das nicht willst, dann verschwinde bitte – mitsamt deinen Axiomen von Welten, die überhaupt nicht existieren …« Sie stampfte mit dem Fuß auf. »Geh weg, wohne ruhig wieder in solch einem grässlichen Turm, der hier nie und nimmer stehen dürfte. Und vergiss mich – ja, vergiss mich!«
Ich wollte etwas sagen, und zwar alles durcheinander, denn ich war erschrocken, wütend und traurig zugleich. Aber auch das hat mich nicht weitergebracht, außer der Tatsache, dass
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