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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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haben, trotzdem durchgelassen zu werden. Das gehörte zu den Privilegien seines Amtes. Die Kartenschnapper genossen dieses Privileg nicht, aber vielleicht hatten sie die Stadt noch vor dem Läuten der Hafenglocke verlassen.
    Blieb noch die Frage zu klären, warum sie ihn erst zum Grünen Papagei und anschließend zur Hafenglocke bestellten. Die Antwort lautete: Es war eine Sicherheitsmaßnahme. Vermutlich hatte Dircks den Auftrag gehabt, ihn nur dann anzusprechen, wenn er sich an die Auflagen gehalten hatte und tatsächlich allein war. Wäre das nicht der Fall gewesen, hätte er von dem eigentlichen Treffpunkt niemals erfahren. Vielleicht wurde er weiterhin beobachtet, von Dircks oder jemand anderem, um zu gewährleisten, daß er niemanden über den wahren Treffpunkt in Kenntnis setzte. Er jedenfalls hätte es anstelle der Kartenschnapper so gehalten. Ob er das alles nun richtig deutete oder nicht, ihm blieb nichts anderes übrig, als zum nächsten Stadttor zu gehen.
    Dort staunten die Wachen nicht wenig, als Katoen sie ohne Angabe von Gründen aufforderte, ihm das Tor zu öffnen. Sein Ansinnen war ungewöhnlich, aber sie hätten es ihm nur verwehren dürfen, wenn Amsterdam von feindlichen Truppen belagert gewesen wäre, und davon konnte zum Glück keine Rede sein. Also ließen die Wachen ihn passieren und hatten jetzt vermutlich für den Rest der Nacht Gesprächsstoff.
    Schon nachdem er wenige Schritte gegangen war, verschwand Amsterdam in seinem Rücken hinter der Nebelwand, und er hatte das Gefühl, ganz allein auf der Welt zu sein. Wäre er schreckhaft gewesen, hätten sich ihm hier draußen die Nackenhaare gesträubt. Die Geräusche des Hafens – das Glucksen des an Mauern und Pfählen leckenden Wassers, das Ächzen der hölzernen Stege unter seinem Gewicht, das entfernte Kreischen einer aufgeschreckten Möwe – vereinigten sich zu einem unheimlichen Konzert.
    Vorsichtig setzte er einen Fuß vor den anderen, darauf bedacht, auf dem glitschigen Holz nicht auszurutschen. Hätte er sich nicht so gut ausgekannt, wäre es ein verwegenes, wenn nicht gar aussichtsloses Unterfangen gewesen, bei der schlechten Sicht die Hafenglocke zu finden. Selbst Katoen mußte mehrmals stehenbleiben, um sich zu orientieren.
    Als er neben dem schmalen Holzgebäude stand, in dem die Reederei Berlage ihr Kontor eingerichtet hatte, wußte er, daß es bis zur Glocke nur noch ungefähr fünfzig Klafter strikt geradeaus waren. Gespannt auf das, was ihn dort erwartete, ging er weiter – und war plötzlich von fünf oder sechs Männern umgeben, die bis an die Zähne bewaffnet schienen. Degen, Dolche und Äxte waren auf ihn gerichtet, allerdings keine Schußwaffen. Wahrscheinlich wollten die Kartenschnapper vermeiden, daß ein Pistolenschuß die Wachen auf der Stadtmauer alarmierte.
    Katoen blieb ruhig, denn er hatte mit so etwas gerechnet. Er war denen, die ihm hier aufgelauert hatten, auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Falls sie es nicht ehrlich mit ihm meinten, würde der nächtliche Hafen wohl der letzte Ort sein, den er in seinem Leben sah.
    Ein großer, knochiger Mann, dem die Nasenspitze fehlte, fuchtelte mit einem Dolch vor Katoen herum. »Nach links, Mijnheer, wenn’s recht ist.«
    Katoen sah prüfend nach links, wo sich eine Landungsbrücke im Nebel verlor. »Vielleicht mag jemand von Euren Leuten vorangehen. Ich kenne das Ziel nicht und könnte leicht einen falschen Schritt tun und ins Wasser fallen.«
    Der Mann ohne Nasenspitze überlegte kurz und gab dann einem anderen einen Wink. Der Betreffende nickte knapp und betrat die Landungsbrücke.
    »Hinterher!«
    »Wenn’s denn sein muß«, seufzte Katoen und befolgte die Anweisung.
    Die übrigen Kartenschnapper hielten sich dicht hinter ihm, so daß er ihnen nicht weglaufen konnte. Wohin auch? Rechts und links standen zwar ein paar Lagerschuppen, aber dahinter erstreckte sich das Meer.
    Vor einem der Lagerschuppen, dem größten weit und breit, blieb der Mann vor ihm stehen, und auch Katoen hielt an. Die übrigen Kartenschnapper bildeten einen dichten Kreis um ihn. Der erste Mann klopfte gegen die Tür und murmelte ein halblautes Wort, das Katoen nicht verstand. Ein kurzes metallisches Geräusch ertönte, wohl von einem Schlüssel, der im Schloß gedreht wurde, und die Tür schwang auf. Ein beißender Geruch schlug Katoen entgegen, ein Gemisch der verschiedenen Gewürze, die im Laufe der Zeit hier eingelagert worden waren.
    »Worauf wartet ihr?« fragte der Mann, der die Tür

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