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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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durchatmete. Aber die Kartenschnapper waren ungeduldig und drängten ihn in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Jenseits der Landungsbrücke gingen sie noch ein Stück gemeinsam, bis Katoen einen unerwarteten Stoß in den Rücken erhielt, genau zwischen die Schulterblätter. Er rutschte aus und schlug der Länge nach hin. Weil er die Ledertasche mit den Karten nicht loslassen wollte, konnte er seinen Sturz nicht abfangen, und der Aufschlag war recht schmerzhaft.
    Bis er sich wieder aufgerappelt hatte, waren die Kartenschnapper längst im Nebel verschwunden. Auch das Lagerhaus war von dieser Stelle aus nicht zu sehen. Kurz dachte Katoen daran, aus Leibeskräften nach den Wachen auf der Stadtmauer zu rufen, aber er ließ es bleiben. Ehe die Wachen eintrafen und er sie unterrichten konnte, würden die Kartenschnapper längst aus dem Lagerhaus verschwunden sein. Er vermutete, daß sie an der Landungsbrücke ein Boot liegen hatten, mit dem sie einen Punkt irgendwo außerhalb Amsterdams ansteuern würden, irgendeinen Unterschlupf, in dem sie unterkriechen konnten, bis am nächsten Morgen die Stadttore wieder geöffnet wurden.
    Er schlug den Weg zur Stadtmauer ein und fragte sich, ob seine Mission erfolgreich gewesen war. Der kommende Tag würde es zeigen.

K APITEL 22
    Das Schlangenkind
    M ITTWOCH , 17. M AI 1671
    K atoen erwachte mit heftigen Kopfschmerzen. Unwillig blinzelte er in das Tageslicht, das in sein Schlafzimmer fiel. Er brauchte geraume Zeit, bis er einigermaßen klar im Kopf war und sein nächtliches Abenteuer ihm wieder vor Augen stand. Er war in die Stadt zurückgekehrt und geradewegs zum Botermarkt gegangen, wo er sich hundemüde hingelegt hatte. Mit Joan Blaeu hatte er ein Treffen am Vormittag in der Gravenstraat verabredet. Der Kartenmacher hatte nicht gewollt, daß Katoen ihn nachts zu Hause aufsuchte; das hätte zu viel Aufsehen erregt.
    Er hatte lange geschlafen, länger als sonst, was verständlich war. Die beiden vergangenen Nächte waren kurz und anstrengend gewesen. Er setzte sich auf, und sein Blick fiel auf die Ledertasche, die er neben sein Bett gestellt hatte. Leider enthielt sie keinen Hinweis auf die Tulpenküste, jedenfalls hatte er bei seiner eiligen Inspektion des Inhalts im Lagerhaus nichts dergleichen gefunden. Er nahm sich vor, sie noch einmal gründlich zu durchsuchen, bevor er sie zu Blaeu brachte.
    Stimmen drangen an sein Ohr. Zunächst dachte er an das Markttreiben vor dem Haus, aber das konnte kaum sein. Der allgemeine Markttag war der Montag. Zwar priesen auch an den anderen Tagen ein paar unermüdliche Bauern auf dem Botermarkt ihre Waren an, aber ihre Zahl stand in keinem Verhältnis zu dem Gedrängel, das montags herrschte.
    Was er hörte, schien ein Streit zwischen zwei Personen zu sein. War er davon geweckt worden? Beide Stimmen klangen hell, es waren Frauenstimmen. Die eine erkannte er nicht, die andere mit dem näselnden Tonfall mußte Greet Gerritsen gehören, seiner Vermieterin.
    Offenbar trug sie an der Haustür mit der anderen Frau einen Disput aus. Als Katoen seinen Namen hörte, stemmte er sich aus dem Bett und streifte eilig seine Kleider über. Statt der Stiefel zog er die Hauspantoffeln an, die er von der Witwe Gerritsen zum Einzug geschenkt bekommen hatte. Das ging schneller und war bequemer.
    Unten an der Haustür traf er tatsächlich auf seine Wirtin; sie keifte und gestikulierte wild, und es wollte überhaupt nicht zu ihrer sonst so gemütlichen, gutmütigen Art passen. »Ich sage es dir hundert-oder auch tausendmal, wenn du es nicht begreifen willst: Du kannst den Amtsinspektor Katoen nicht besuchen! Er schläft noch, und ich glaube, er hat den Schlaf bitter nötig. Außerdem – was will einer wie du von dem Herrn Amtsinspektor?«
    »Ich habe etwas für ihn. Es ist wichtig, wirklich!«
    Das war keine Frau, sondern ein Kind, und jetzt erkannte Katoen auch die Stimme.
    »Felix!«
    Vor der Haustür stand der Junge in seiner Waisenhauskleidung, die allerdings derart zerrissen und schmutzig war, daß man ihm im Waisenhaus dafür ordentlich den Kopf waschen würde. Katoen hatte das vor vielen Jahren schmerzhaft am eigenen Leib erfahren. Nicht nur die Kleidung sah mitgenommen aus, auch Felix selbst wirkte erschöpft und übernächtigt. Mit seinen schmalen Händen hielt er etwas fest umklammert. Es sah aus wie ein Lederbeutel, ähnlich dem, in dem Katoen die Wechsel transportiert hatte.
    Die Witwe Gerritsen, die Katoen erst jetzt wahrnahm, fuhr herum und sah

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