Die Tulpe des Bösen
Blick. »Joan hat Euch doch bereits gesagt, daß er nichts von diesem Kreuzfahrer-Manuskript weiß.«
»Einen Kreuzfahrer habe ich jetzt gar nicht erwähnt«, stellte Katoen fest. »Wie kommt Ihr also darauf?«
»Das liegt doch nahe, nachdem Ihr Joan schon einmal auf dieses obskure Manuskript angesprochen habt.«
»So obskur ist das Manuskript gar nicht. Im Gegenteil, möchte ich behaupten, es ist sogar sehr konkret.« Während er sprach, holte Katoen den Beutel hervor, den er bisher unter seinem Umhang verborgen gehalten hatte, und legte ihn auf den Tisch. Unter den verwunderten Blicken der beiden anderen öffnete er ihn und nahm zuerst die Seekarte der Tulpenküste und anschließend das ledergebundene Manuskript heraus. Er entrollte die Karte und sagte: »Diese Karte, die einen Küstenabschnitt des Osmanischen Reiches zeigt, trägt den Schriftzug Eures Vaters, Mijnheer Blaeu, wie Ihr hier seht. Und hier«, Katoen zeigte auf das Gebiet gegenüber der Insel Rhodos, »ist eine Landzunge eingezeichnet, die den Namen ›Tulpenküste‹ trägt. Ich nehme an, Euer Vater hat diese Karte nach den Aufzeichnungen des Kreuzfahrers Guillaume de Vailly angefertigt.«
»Wer soll das sein?« fragte Vestens barsch.
Katoen rollte die Karte wieder zusammen und legte eine Hand auf das Buch. »Der Verfasser dieses Manuskripts, von dem hier angeblich niemand je gehört hat. Stammt denn auch die Karte nicht von hier, obwohl Willem Blaeu sie signiert hat?«
»Woher habt Ihr das Buch und die Karte?« fragte Blaeu, vergebens darum bemüht, seiner Stimme Festigkeit zu verleihen.
»Ebenfalls von den Kartenschnappern«, antwortete Katoen. »Allerdings haben sie diese beiden Dinge nicht ganz so freiwillig herausgegeben wie die übrigen Karten.« Er trat auf den alten Kartenmacher zu und sah ihn herausfordernd an. »Mijnheer Blaeu, Ihr seid einer der verdientesten Bürger Amsterdams, Mitglied des Magistrats, und Eure Ehrbarkeit wird weit über die Grenzen der Niederlande hinaus gerühmt. Wollt Ihr mir nicht endlich, was das Manuskript und diese Seekarte betrifft, die Wahrheit sagen?«
Blaeu, dessen Gesicht plötzlich fahl wirkte, ging langsam zwei Schritte rückwärts und ließ sich auf einen Stuhl sinken. »Ihr wißt ja schon alles«, sagte er leise.
»Dann stimmt es also, daß die Kartenschnapper Euch die Aufzeichnungen des Kreuzfahrers und die Karte der Tulpenküste entwendet haben?«
»Ja. Ich habe beides zusammen mit den übrigen Karten da auf dem Tisch in einem geheimen Versteck aufbewahrt. Es sind die wertvollsten Karten, die ich besitze. Und das Manuskript, nun, es hat seine eigene Geschichte.«
»Nach diesen Aufzeichnungen hat Euer Vater die Seekarte angefertigt, und die wiederum hat es der Ostindischen Kompanie ermöglicht, die Admiraal van der Haghen auf ihre geheime Expedition zu schicken.«
Blaeu sah Katoen erstaunt an. »Davon wißt Ihr auch? Woher?«
»Das möchte ich lieber für mich behalten. Mich interessiert viel mehr, was mit der speziellen Fracht geschehen ist, die die Admiraal van der Haghen nach Amsterdam gebracht hat.«
»Das weiß ich nicht.«
»Wollt Ihr mich schon wieder anlügen, Mijnheer Blaeu?«
»Ich weiß es wirklich nicht. Vielleicht hat mein Vater es gewußt, aber wenn es so war, dann hat er sein Wissen mit ins Grab genommen. Ich selbst bin mit der ganzen Geschichte nur in groben Zügen vertraut. Als die Admiraal van der Haghen nach Amsterdam zurückkehrte, war so einiges geschehen. Der Zusammenbruch des Tulpenmarktes hatte viele der vormals reichen Kaufleute ins Unglück gestürzt, und von Tulpen wollte niemand mehr so recht etwas wissen. Vielleicht wurde jener Teil der Schiffsladung, auf den Ihr anspielt, damals vernichtet. Ich habe keine Ahnung.«
Katoen konnte sich schwerlich vorstellen, daß die erbeuteten Tulpenzwiebeln vernichtet worden waren, nachdem man zuvor einen solchen Aufwand getrieben hatte, um in ihren Besitz zu gelangen. Immerhin lag es im Bereich des Möglichen. Dagegen sprach jedoch, daß der Tulpenmörder offenkundig im Besitz mindestens eines Exemplars jener Tulpe war, die Anna und ihr Ziehvater so klangvoll die Tulpe des Bösen nannten.
Der Kartenmacher saß zusammengesunken auf seinem Stuhl. Der Stolz und die Kraft, die zuvor von ihm ausgegangen waren, fehlten ihm mit einem Mal völlig. Katoen hatte nicht den Eindruck, daß Joan Blaeu in seiner gegenwärtigen Verfassung in der Lage war, großartige Lügengeschichten zu spinnen. Aber er nahm sich vor, ihn nicht zu
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