Die Tulpe des Bösen
Was Felix vollbracht hatte, erfüllte ihn mit Stolz. Kaum ein Erwachsener hätte das vermocht. Natürlich war ihm seine ungewöhnliche Fähigkeit, sich schlangengleich durch engste Lücken zu winden, dabei von Nutzen gewesen, aber das allein hätte nicht ausgereicht. Felix hatte Mut bewiesen, nicht kopflose Tollkühnheit, nein, er war sehr überlegt vorgegangen. Katoen war tatsächlich stolz auf ihn, als wäre er sein eigen Fleisch und Blut.
»Du warst mir eine große Hilfe«, lobte er den Jungen, »eine sehr große. Ohne dich wüßte ich nicht einmal mit Sicherheit, ob das Buch und die Karte existieren, geschweige denn, ob die Kartenschnapper sie hatten. Ich danke dir!« Als Felix’ Augen glücklich aufleuchteten, fügte Katoen halb scherzhaft hinzu: »Jetzt müßte ich noch den Namen des Mannes wissen, der sich unter der Maske versteckt hat. Du hast ihn nicht vielleicht gehört?«
»Nein, leider nicht, Mijnheer Katoen.«
»Sag Jeremias und du zu mir, das geht schneller.«
»Ja, Jeremias. Den Namen des Anführers hat wirklich keiner genannt, auch nicht in dem Bauernhaus, obwohl er dort seine Maske abgenommen hat.«
Vielleicht lag es an der Müdigkeit, die noch immer in ihm steckte, jedenfalls brauchte Katoen ein paar Sekunden, um die letzte Bemerkung des Jungen aufzunehmen. Er ließ die Hand mit der Pfeife sinken und starrte Felix an.
»Du hast das Gesicht des Anführers gesehen?«
»Das hab ich«, antwortete Felix vollkommen ruhig, als hätte er nicht die leiseste Ahnung, was das für Katoen bedeutete.
Katoen sprang von seinem Stuhl auf und kniete sich vor den Sessel, in dem Felix ein wenig verloren aussah. »Beschreib mir den Mann, Felix, in allen Einzelheiten!«
K APITEL 23
Enthüllungen
E s ging bereits auf Mittag zu, als Katoen in die Gravenstraat kam und zu Joan Blaeu geführt wurde, der ihn voller Ungeduld erwartete. Als er mit Blaeu und Barent Vestens allein war, machte der Kartenmacher seinem Ärger Luft.
»Den ganzen Morgen warte ich schon auf Euch, Katoen! Was fällt Euch ein, erst jetzt hier zu erscheinen? Ihr haltet die ganze Angelegenheit wohl für nicht sonderlich wichtig?«
»Es gibt noch andere wichtige Angelegenheiten, um die ich mich zu kümmern habe«, erwiderte Katoen kühl. »Aber das heißt nicht, daß ich Eure Sache vernachlässigt habe. Sonst hätte ich nicht mein Leben dafür aufs Spiel gesetzt, und das habe ich getan, als ich mich bei Nacht und Nebel draußen bei den Landungsbrücken mit den Kartenschnappern traf.«
»Ihr wart bei ihnen, wirklich?« fragte Blaeu, und seine Wut schien augenblicklich verraucht zu sein. »Habt Ihr mit ihnen gesprochen?«
»Ja«, sagte Katoen nur. Er hatte nicht vor, es Blaeu leichtzumachen.
»Und die gestohlenen Karten, habt Ihr die?«
Katoen stellte die Ledertasche mit den Karten auf den großen Tisch, der das Privatkontor des Kartenmachers beherrschte. »Hier sind sie. Schaut nach, ob sie vollständig sind.«
Blaeu und Vestens holten die Karten aus dem Beutel und sahen sich eine nach der anderen an. Sie wollten sich nichts anmerken lassen, aber Katoen entging nicht, daß sie unzufrieden waren und beunruhigt. Sich ahnungslos stellend, betrachtete er ein großes Ölbild, das Blaeus Vater Willem als Mann mittleren Alters im Kreise seiner Familie zeigte. Die Rechte von Willem Blaeu streichelte den Kopf eines der Jungen, und Katoen fragte sich, ob das Joan oder Cornelis war, vermochte es aber nicht zu sagen. Die Zeitläufte eines langen Lebens hatten Joan Blaeus Gesicht geformt, und jetzt, im Alter, hatte er mehr Ähnlichkeit mit seinem Vater als mit einem der beiden Jungen auf dem Bild.
Erst als Blaeu sich vernehmlich räusperte, drehte Katoen sich zu den beiden um. Die zusammengerollten Karten, die er ihnen zurückgebracht hatte, lagen fein säuberlich nebeneinander auf dem Tisch.
»Ich danke Euch für Eure Bemühungen, Mijnheer Katoen«, sagte der Kartenmacher feierlich. »Ich werde Euch eine Anweisung an meine Bank mitgeben, Euch die Belohnung auszuzahlen.«
»Dann seid Ihr also zufrieden? Sind alle gestohlenen Karten wieder da?«
»Ja«, sagte Blaeu nur und senkte den Blick, als Katoen ihm unverwandt in die Augen sah.
»Sonst vermißt Ihr nichts?«
»Ich wüßte nicht, was.«
»Vielleicht ein Buch, ein altes Manuskript?«
Blaeu, offensichtlich unangenehm berührt, atmete schwer. »Warum fangt Ihr schon wieder davon an?«
Vestens sprang seinem Brotherrn und väterlichen Freund bei und bedachte Katoen mit einem vorwurfsvollen
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