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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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des Jungen an. Etliche dicke rote Striemen zogen sich über den Rücken, so heftig, daß sie selbst einem erwachsenen Mann Schmerzen bereitet hätten.
    »Ich hab das nicht gewollt«, sagte Felix. »Wenn ich etwas falsch gemacht hab, dann meistens, weil ich nicht dran gedacht hab.«
    »Schon gut«, sagte Katoen und strich ihm sanft über den Kopf. »Warte hier. Ich gehe mal hinunter zur Witwe Gerritsen. Sie hat eine Salbe gegen Schmerzen.«
    Als Katoen ihr das Tablett mit dem Geschirr zurückbrachte und nach der Salbe fragte, bestand seine Vermieterin darauf, mitzukommen. Und sie bestand darauf, Felix selbst zu behandeln, wobei sie mit einer Sanftheit zu Werke ging, die Katoen ihren rauhen, abgearbeiteten Händen nie zugetraut hätte.
    »Der Junge kommt aus dem Waisenhaus, nicht wahr?« fragte sie, als sie fertig war.
    »Er heißt Felix, und ja, er kommt aus dem Waisenhaus. Fortgelaufen, möchte ich sagen.«
    »Ich an seiner Stelle wäre auch fortgelaufen«, sagte die Witwe mit Blick auf Felix’ zerschundenen Rücken, während sie ihm behutsam das Leibhemd überstreifte.
    »Es ist nicht immer leicht im Waisenhaus, aber er wird sich daran gewöhnen.«
    »Das wird er nicht!« erwiderte sie mit einer Schärfe, die zu ihrer sonstigen Art im Widerspruch stand.
    »Wie meint Ihr das, Mevrouw?«
    Sie legte dem Jungen eine Hand auf den Kopf und strich ihm über das Haar. »Er wird sich nicht daran gewöhnen müssen, weil er nicht dorthin zurückgeht.«
    »Nicht?« wiederholte Katoen. »Und was soll aus ihm werden?«
    »Ihr und ich, wir werden schon für ihn sorgen. Ich habe unten eine ruhige Kammer zum Hof raus, da steht nur Gerümpel drin. Die machen wir frei, und dann kann Felix darin schlafen. Und jetzt werde ich Wasser heiß machen, damit ich ihn und seine Kleider mal gründlich waschen kann.«
    »Ich bringe ihn Euch«, versprach Katoen. »Aber vorher muß ich mich noch mit ihm unterhalten, dienstlich.«
    Die Wirtin sah Katoen an. »Ihr seid also einverstanden?«
    Er nickte und grinste dabei. »Ich will es mir doch nicht mit Euch verscherzen, Mevrouw Gerritsen.«
    Als die Witwe gegangen war, fragte Felix: »Stimmt das? Darf ich hierbleiben?« In seinen dunklen Augen lagen Bangen und Hoffen zugleich.
    Katoen lächelte. »Ja, es stimmt.«
    Vielleicht täuschte er sich, aber das Gesicht des Jungen wirkte auf einmal verändert, wie von einer tiefen Traurigkeit befreit, und das schien ihm Lohn genug zu sein für das, was seine Wirtin und er auf sich genommen hatten. Er allein hätte sich niemals ausreichend um Felix kümmern können, sein Beruf ließ das nicht zu. Aber wenn die Witwe Gerritsen den Jungen bemutterte, wußte er ihn in guten Händen. Das und seine Reputation als Amtsinspektor sollten genügen, um die Waisenmeister, denen die Oberaufsicht über alle Waisenkinder Amsterdams oblag, zur Zustimmung zu bewegen.
    »Wie bist du an das Buch und die Karte gekommen, Felix?«
    »Als der Schulmeister im Waisenhaus mich wieder geschlagen hat, gestern nachmittag, weil ich im Unterricht aus dem Fenster geschaut hab, da bin ich weggelaufen. Ich wollte zu Euch, hab mich aber nicht getraut. Ihr hattet mir doch verboten wegzulaufen.«
    »Allerdings«, sagte Katoen und lächelte. »Aber wie mir scheint, genieße ich bei Amsterdams Gesetzesbrechern größere Autorität als bei den Waisen dieser Stadt. Erzähl weiter, was hast du dann getan?«
    »Ich hab das Haus beobachtet.«
    »Welches Haus?«
    »Dieses.«
    »Warum?«
    Felix wackelte unentschieden mit dem Kopf. »Ich weiß nicht. Ich wollte warten, auf eine gute Gelegenheit.«
    »Um mit mir zu reden, ohne daß ich böse werde?«
    »Ja.«
    »Aber das hast du nicht getan. Warum nicht?«
    »Es gab keine gute Gelegenheit.«
    »Das ist ein guter Grund«, gab Katoen zu, während er seine Pfeife von der Ablage nahm und mit den Überresten seines Vorrats an Virginia-Tabak stopfte. »Wie lange hast du hier gewartet?«
    »Bis Ihr zur Gravenstraat gegangen seid. Da bin ich Euch hinterher. Ich dachte, unterwegs gibt’s vielleicht eine Gelegenheit.«
    »Aber die gab es nicht, wie?« fragte Katoen und entzündete die Pfeife mittels Schlageisen, Feuerstein und Zunderbüchse.
    »Nein, Ihr seid ja dann zurück nach hier, bis Ihr abends wieder los seid.«
    »Und du hast dich die ganze Zeit über draußen auf dem Botermarkt herumgetrieben?«
    »Ja.«
    »Alle Achtung, und das bei dem Wetter. Ausdauer hast du!« Katoen lehnte sich zurück, streckte die Beine weit von sich und gab sich ein paar

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