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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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erwartet. Während der ältere Mann den rechten Arm des jüngeren nach unten drückte, damit der Schein der Laterne sie nicht länger blendete, überlegte die Witwe Gerritsen, ob sie es vielleicht gar nicht mit Einbrechern zu tun hatte.
    »Wer seid Ihr, und was sucht Ihr hier?« fragte sie zögernd.
    »Wir kommen vom Rathaus«, antwortete der ältere Mann. »Der Amtsinspektor Katoen, der Euch herzlich grüßen läßt, schickt uns, etwas aus seiner Wohnung zu holen, das er dringend benötigt.«
    »Warum kommt er nicht selbst?«
    »Er hat zu tun, wichtige Ermittlungen.«
    Die Witwe Gerritsen war sich nicht sicher, was sie davon zu halten hatte.
    »Kehrt ruhig in Euer warmes Bett zurück«, sagte der Bärtige. »Wir kommen schon zurecht. Der Amtsinspektor hat uns seine Schlüssel gegeben, und wenn wir fertig sind, schließen wir alles wieder ab.«
    »Ja, meint Ihr?«
    »Gewiß doch.« Der Mann nickte bekräftigend. »Es wäre dem Inspektor nicht recht, wenn Ihr seinetwegen um Euren Schlaf gebracht würdet. Er hat uns eingeschärft, Euch bloß nicht zu stören.«
    »Tja, wenn das so ist, dann wünsche ich Euch eine gute Nacht, meine Herren.«
    »Gute Nacht, Mevrouw«, antworteten die beiden wie aus einem Munde.
    Greet Gerritsen ging zurück in ihre Wohnung und verschloß sie, während sie hörte, wie die beiden Männer zu Katoens Wohnung gingen und sie öffneten. Sie brachte das Messer zurück in die Küche und setzte sich auf einen Stuhl. Ihr war jetzt nicht nach Schlafen, nicht, solange die beiden Männer im Haus waren. Wenn der Amtsinspektor sie geschickt hatte, dann würde das alles schon seine Ordnung haben.
    Oder doch nicht? Etwas an dem, was der Mann auf der Treppe gesagt hatte, störte sie, aber sie kam einfach nicht darauf, was es war. Sie war schlichtweg zu müde, um einen klaren Gedanken zu fassen, vielleicht auch zu nervös. Sie goß sich einen Becher Milch ein, die würde sie beruhigen. Während sie die Milch in kleinen Schlucken trank, hörte sie, wie die Männer die Treppe wieder herunterkamen und das Haus verließen. Ein metallisches Geräusch verriet ihr, daß sie die Haustür tatsächlich wieder verschlossen.
    Trotzdem verließ Greet Gerritsen ihre Wohnung noch einmal. Sie wollte sich selbst davon überzeugen, daß ihre Haustür richtig verschlossen war, und das war sie. Anschließend stieg sie die Treppe hinauf und fand auch Katoens Wohnungstür verschlossen vor.
    Dann hat ja wohl doch alles seine Richtigkeit, sagte sie sich erleichtert, während sie wieder in ihre Wohnung ging. Morgen würde sie Tryntje Wijers aber was zu erzählen haben! Von dem nächtlichen Besuch und von ihrem umsichtigen Mieter, der seinen Männern gesagt hatte, sie sollten die Witwe Gerritsen nicht stören. Und der ihr sogar Grüße ausrichten ließ.
    Sie stutzte, und plötzlich war ihr klar, was an den Worten des bärtigen Mannes sie gestört hatte: Wie hatte Katoen ihm auftragen können, sie einerseits nicht zu stören, ihr andererseits aber Grüße auszurichten? Ein Ding der Unmöglichkeit!
    Ihr dämmerte, daß mit dem Besuch der beiden etwas ganz und gar nicht stimmte, und mit einem Mal packte sie die Sorge um den ihr anvertrauten Jungen wie eine böse Ahnung. Das mußte die Aufregung sein. Die hintere Kammer lag schließlich sehr ruhig. Wahrscheinlich schlief Felix selig und hatte von dem Besuch nichts mitbekommen.
    Aber um sich zu beruhigen, begab Greet Gerritsen sich in den hinteren Teil des Hauses, um nach Felix zu schauen. Als sie vorsichtig die Tür zu seiner Kammer öffnete, sah sie im schwachen Nachtlicht, das durch das kleine Fenster hereinfiel, das zerwühlte Bett – es war leer!
    Sie rief den Namen des Jungen, immer wieder und jedesmal lauter, aber sie erhielt keine Antwort.

K APITEL 26
    Die Spinne im Netz (1)
    D ONNERSTAG , 18. M AI 1671
    E in schmerzhafter Singsang riß ihn aus dem Schlaf, und augenblicklich verblaßte die Erinnerung an wilde Träume, die ihn geplagt hatten. Sein Schädel war schwer und viel zu dick, jedenfalls fühlte es sich so an. So, als würde sein Kopf jeden Augenblick platzen. Wie nach einer durchzechten Nacht mit Schnaps, Likör, Wein und Bier – zuviel von allem und zuviel durcheinander. Dieses elendige Gefühl, als würde sich sein Magen gleich umdrehen, hatte er schon lange nicht mehr gehabt. Es fiel ihm sogar schwer, einen klaren Gedanken zu fassen, sich daran zu erinnern, was er getrunken hatte, wo und mit wem.
    Da war der störende Gesang wieder. Nein, doch kein Gesang, jemand

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