Die Tulpe des Bösen
Erkenntnis traf Katoen wie ein Schlag, und er begann das ganze Ausmaß dessen zu begreifen, was er nicht anders nennen konnte als Verschwörung. Noch lag allerdings einiges im dunkeln, und fast fürchtete er sich davor, die ganze Wahrheit zu erfahren. »Ihr wollt eine neue Expedition ausschicken und mehr von diesen verfluchten Tulpenzwiebeln holen!«
»Natürlich, was sonst?«
»Aber das kostet Geld, viel Geld. Ihr benötigt ein Schiff, mindestens eines, müßt es ausrüsten, müßt eine Mannschaft anheuern und dazu Soldaten, weil man Euch die Zwiebeln der Bluttulpe kaum freiwillig aushändigen wird.«
»In unseren Reihen befinden sich viele reiche und einflußreiche Männer: Kaufleute, Bankiers, Offiziere. Reeder, Werftbesitzer, ja sogar …«
Katoen fiel ihm ins Wort: »Bankiers und Werftbesitzer? Heißt das, Balthasar de Koning und Jacob van Rosven haben zu Euch gehört?«
Der Amtsrichter nickte. »Jetzt versteht Ihr hoffentlich, warum ich befürchten mußte, dem Tulpenmörder ebenfalls zum Opfer zu fallen. Schon allein, um mich selbst zu schützen, mußte ich meinen besten Mann auf den Mörder ansetzen!«
Katoen ignorierte den Versuch, ihm Honig um den Bart zu schmieren, und sagte: »Aber nicht alle ›Verehrer der Tulpe‹ können zu Euch gehören. Joan Blaeu jedenfalls tut es nicht, das habt Ihr selbst eben gesagt.«
»Nicht alle, aber sehr viele. Zu den ›Verehrern der Tulpe‹ zählen einige der geachtetsten Bürger Amsterdams. Da ist es nur natürlich, daß die Wohlmeinenden sich vornehmlich aus ihren Reihen rekrutieren. Unser Einfluß ist allerdings nicht auf Amsterdam beschränkt. Auch in anderen Städten der Niederlande haben wir Vertraute.«
»Die Wohlmeinenden?« Trotz seiner wenig erfreulichen Lage mußte Katoen lachen, wenn es auch ein rauhes, verächtliches Lachen war, das in den Weiten des Gewölbes widerhallte. »Was für ein scheinheiliger Name für eine Bande von Entführern und Erpressern!«
»Ihr urteilt schon wieder vorschnell. Glaubt Ihr, so viele angesehene Bürger hätten sich uns angeschlossen, wenn unser Ziel unlauter wäre? Und wir erhalten ständig neuen Zulauf.«
»Auch von Paulus van Rosven?«
»Wie meint Ihr das?«
»Jacob van Rosvens Sohn ist das bislang letzte Opfer des Tulpenmörders, von dem wir wissen«, sagte Katoen und ließ den unglücklichen Joris Kampen, der in diesem Zusammenhang keine Rolle spielte, bewußt außen vor. »Ich will wissen, ob er auch einer der Euren war.«
»Noch nicht.« Nachdenklich rieb van der Zyl mit der Hand über sein Kinn. »Das ist eine seltsame Sache mit dem jungen van Rosven. Ich wollte ihn tatsächlich bitten, die Nachfolge seines Vaters in unserer Bruderschaft anzutreten, aber ich habe schnell gemerkt, daß ich sehr behutsam vorgehen und ihn ganz allmählich vertraut machen mußte mit dem, was wir beabsichtigen. Das entscheidende Gespräch, bei dem ich feststellen wollte, ob ich ihn einweihen und um seine Mithilfe bitten kann, hatte noch nicht stattgefunden, als er starb.«
»Interessant. Wenn wir davon ausgehen, daß der Tulpenmörder es tatsächlich auf die Mitglieder Eurer Bruderschaft abgesehen hat, muß er gewußt haben, daß Ihr Paulus van Rosven gewinnen wolltet. Er hat ihn gleichsam im Vorgriff auf Euer entscheidendes Gespräch ermordet. Was die Frage aufwirft, woher der Mörder das wissen konnte. Ihr solltet Euch mit dem Gedanken anfreunden, van der Zyl, daß der Tulpenmörder aus Euren eigenen Reihen kommt – daß er ein Mitglied Eurer Bruderschaft ist!«
»Unvorstellbar!«
»Und wenn nicht der Mörder selbst zu Euch gehört, muß es unter Euren Leuten einen Verräter geben. Das Ergebnis ist das gleiche.«
Der Amtsrichter wandte sich von Katoen ab und blickte minutenlang ins Leere. Offenbar hatten die letzten Worte seines Gefangenen ihm einigen Stoff zum Nachdenken gegeben.
Schließlich straffte sich die hochgewachsene Gestalt, und er sah Katoen fest in die Augen. »Ihr habt recht, leider. Wir brauchen Euch und Euren scharfen Verstand. Ihr müßt den Mörder und, sollten es zwei verschiedene Personen sein, auch den Verräter aufspüren. So viel hängt davon ab, daß unsere Pläne nicht gefährdet werden. Schließt Euch uns an, Jeremias! Ich habe von Anfang an gewußt, daß Ihr der Richtige für uns seid. Und vergeßt diese dumme Frist, die Ihr Euch selbst gesetzt habt. Selbstverständlich bleibt Ihr auf jeden Fall im Amt.«
»Aber was sind Eure Pläne?« fragte Katoen endlich.
»Im Grunde ist es schrecklich
Weitere Kostenlose Bücher