Die Tulpe des Bösen
noch mehr Unschuldige, so wie Euer Büttel. Verfolgt Ihr denn eine bestimmte Spur?«
»Möglicherweise. Ich warte auf einen Brief aus Haarlem, dann sehe ich hoffentlich etwas klarer.«
»Einen Brief aus Haarlem? Nun ja, ich habe vollstes Vertrauen in Euch, Katoen, Ihr werdet das schon machen. Aber es gibt noch eine Aufgabe für Euch. Ihr seid in die ganze Geschichte eingeweiht, deshalb möchte ich keinen anderen damit betrauen.«
»Wovon sprecht Ihr?«
»Von der Tulpe des Bösen. Wir haben in van der Zyls Haus weder diese abscheulichen Tulpen noch einen Vorrat ihrer Zwiebeln gefunden. Auch die Blütenblätter, die der Tulpenmörder bei seinen Opfern hinterlassen hat, deuten ja darauf hin, daß es einige Exemplare dieser ominösen Tulpensorte bei uns geben muß. Findet die Tulpe des Bösen, Katoen, findet und vernichtet sie!«
K APITEL 29
Die Tulpe des Bösen
F REITAG , 19. M AI 1671
A m Freitagvormittag lag Amsterdam im prächtigsten Sonnenschein, als seien Regen und Nebel der vergangenen Tage nur ein düsterer Traum gewesen. Es war, als atme die Stadt am IJ auf, nachdem die Gefahr durch die Bruderschaft der Wohlmeinenden gebannt war. Als Jeremias Katoen dieser Gedanke kam, mußte er über sich selbst lächeln. Das war natürlich Unsinn. Kaum ein Mensch in der Stadt wußte von den Wohlmeinenden und ihrem niederträchtigen Plan zur Erlangung der Macht. Für die Bürger von Amsterdam war es ein Tag wie jeder andere, und so sollte es auch sein.
Katoen fühlte sich besser als am Abend zuvor. Er hatte tief geschlafen und war am Morgen, als die Sonne durch sein Fenster schien, mit dem Gefühl erwacht, daß eine schwere Last von ihm genommen war. Zwar gab es noch einiges zu regeln, aber er glaubte zu wissen, was er zu tun hatte, damit auch die letzten unsichtbaren Schatten, die noch auf Amsterdam lagen, vertrieben wurden.
Beim Frühstück, von der fürsorglichen Witwe Gerritsen zubereitet, hatte er endlich Zeit gefunden, in Ruhe mit Felix zu sprechen und ihm zu erzählen, daß er die Vormundschaft über ihn beantragt hatte und daß er künftig auf den Namen Felix Katoen hören müßte. Felix schien nichts dagegen zu haben, im Gegenteil, sein schmales Gesicht strahlte mit der Sonne um die Wette. Als Katoen allerdings erwähnte, daß er sich in der nächsten Woche darum kümmern wolle, daß sein Schützling eine Schule besuchen könne, schien Felix’ Freude ein wenig gedämpft. Anfangs würde es dem Jungen schwerfallen, in der Schule zurechtzukommen, wie er auch im Waisenhaus seine Probleme mit den dort herrschenden Regeln gehabt hatte, aber Katoen war sich sicher, daß er das schaffen würde. Er war klug und willensstark, und Katoen wollte ihm helfen, so gut er nur konnte.
Jetzt war Katoen unterwegs zum Jordaan, um ein Versprechen einzulösen, das er ein paar Tage zuvor gegeben hatte. Er traf Anna Swalmius im Hinterhof des Mietshauses an, in dem ihre kleine Wohnung lag. Die Ärmel ihres Kleides bis über die Ellbogen hochgekrempelt, hängte sie Wäsche auf, deren zahlreiche Flicken beredtes Zeugnis davon ablegten, in welch bescheidenen Verhältnissen sie und ihr Ziehvater lebten. Sie war überrascht, als er sie lächelnd begrüßte.
Es tat ihm gut, in ihr natürlich schönes Gesicht zu sehen, das trotz der Härten, die das Leben ihr beschert hatte, keine Zeichen von Verbitterung aufwies. Beim Erwachen am Morgen war er von dem guten Gefühl beseelt gewesen, etwas Angenehmes geträumt zu haben, aber den Traum selbst hatte er vergessen. Jetzt erinnerte er sich, daß er von Anna geträumt hatte.
»Das nenne ich eine Überraschung«, sagte sie, ohne in ihrer Beschäftigung innezuhalten. »Ein morgendlicher Besuch des Herrn Amtsinspektors, der noch dazu guter Laune ist, wie es scheint.«
»Bei Eurem Anblick bin ich das immer.« Er senkte die Stimme. »Es sei denn, Ihr geht mit dem Rapier auf mich los.«
Jetzt lächelte sie auch. »Ich bin ein braves Mädchen gewesen und habe das Rapier in den vergangenen Tagen nicht angerührt.«
»Gut so«, lobte Katoen. »Auch ich will mein Wort halten und Euch erzählen, was sich ereignet hat. Habt Ihr Zeit für einen kleinen Spaziergang? Es gibt so einiges, was ich Euch zu berichten habe.«
»Das klingt wichtig, also nehme ich mir die Zeit.«
Während sie die Prinsengracht entlang in Richtung IJ spazierten, erzählte Katoen ihr von den Ereignissen der vergangenen Tage. Anna zeigte sich erleichtert darüber, daß der Plan der Wohlmeinenden durchkreuzt worden und daß es
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