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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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gestoßen hatte, so rammte Katoen jetzt mit letzter Kraft van der Zyls Schädel gegen die Kaimauer, einmal, zweimal, dreimal. Dunkle Schlieren bildeten sich rund um den Kopf des Amtsrichters. Es dauerte einen Moment, bis Katoen begriff, daß das Blut war, das Blut seines Gegners.
    Van der Zyls Hände lösten sich von seinem Hals, und endlich konnte Katoen wieder atmen. Die Hände, die ihn eben noch gewürgt hatten, trieben kraftlos im Wasser. Nicht nur die Hände. Jegliche Kraft war aus dem Körper des Amtsrichters gewichen, ganz so wie sein Leben. Der letzte Schlag gegen die Mauer hatte ihm den Rest gegeben.
    Katoen, am Rande der Erschöpfung, hielt sich an einem der rostigen Eisenringe fest, die zum Vertäuen von Schiffen in die Kaimauer eingelassen waren, während Nicolaas van der Zyl neben ihm tiefer und tiefer sank. Es hatte keinen Sinn, die Leiche festzuhalten, und im Augenblick wäre er dazu auch zu schwach gewesen. Er holte tief Luft und beobachtete, wie der Damrak den Amtsrichter verschluckte.

K APITEL 28
    Die Bruderschaß der Wohlmeinenden
    A usgelaugt und müde saß Jeremias Katoen in seiner Dienststube und blickte aus dem Fenster auf eine Stadt, in der das Leben wie gewohnt weiterging. Der Nebel, der in den vergangenen Tagen wie ein riesiges, alles erstickendes Tuch über Amsterdam gelegen hatte, war verschwunden, und er konnte über die Hausdächer hinweg bis zum Singel sehen, auf dem kleinere Frachtschiffe, Lastkähne, Leichter und Ruderboote kreuzten und den endlosen Kreislauf des Warenstroms, dem Amsterdam seinen Reichtum verdankte, aufrechterhielten.
    Was sich einige Stunden zuvor am Damrak ereignet hatte, das wußten die Menschen da unten, die Kaufleute, Schiffer und Arbeiter, nicht, und hätten sie es gewußt, es hätte sie nicht davon abgehalten, ihre Schiffe und Boote zu be-und entladen, Frachtlisten zu prüfen und Schiffen, die auf längere Fahrt gingen, einen letzten Gruß nachzuwinken.
    Lustlos nippte Katoen an dem Becher mit Heidelbeerschnaps und dachte an das, was glücklicherweise hinter ihm lag, an Nicolaas van der Zyls Flucht aus dem Rathaus und den Kampf auf Leben und Tod, den sie beide sich auf dem Damrak geliefert hatten. Das Ganze erschien ihm so unwirklich wie ein Theaterstück, das man sich anschaut, ohne das Dargebotene für bare Münze zu nehmen. Und doch hatte er es erlebt, und noch jetzt spürte er van der Zyls eisernen Griff um seinen Hals und mußte einen dicken Kloß hinunterwürgen. Nachdem er nach dem gewonnenen Kampf mit letzter Kraft auf den Kai geklettert war, hatte er ein paar Minuten gebraucht, bis er wieder ansprechbar gewesen war.
    Zum wiederholten Mal fragte er sich, ob er van der Zyls Tod begrüßte oder bedauerte, aber er fand keine rechte Antwort. Der Verschwörer van der Zyl, dem er in der vergangenen Nacht begegnet war, hatte den Tod gewiß verdient, und um den tat es ihm nicht leid. Aber es hatte auch den anderen gegeben, den Amtsrichter van der Zyl, den er über viele Jahre hinweg als gerechten, sich mit ganzer Kraft für die Belange Amsterdams und seiner ehrlichen Bürger einsetzenden Mann gekannt hatte. Um diesen Mann trauerte Katoen, und gleichzeitig sagte er sich, daß er den Verlust nicht zu verantworten hatte. Der aufrechte, ehrliche Nicolaas van der Zyl war nur noch eine Fassade gewesen, von ihm selbst zu jenem Zeitpunkt errichtet, als er dem Dunklen und Bösen, das in jedem Menschen verborgen lag, verfiel.
    Katoens Gedanken kehrten zu den Ereignissen des Vormittags zurück. Nachdem er sich ein wenig erholt hatte, war er zum Rathaus zurückgekehrt, um dem Magistrat Bericht zu erstatten.
    Schnell wurde der Beschluß gefaßt, van der Zyls Haus und das darunter liegende Gewölbe nach weiteren Verschwörern zu durchsuchen. Katoen hatte ein paar bewaffnete Wachen zu jener Stelle am Ufer des IJ geführt, wo er mit Felix aus dem Gewölbe herausgekommen war. Sie hielten dort Wache, damit keinem der Wohlmeinenden auf diesem Weg die Flucht gelang. Unterdessen wollte Philipp Schuiten mit weiteren Bewaffneten in das Haus des Amtsrichters eindringen. Katoen hatte vorgeschlagen, daß zuvor Felix beschreiben sollte, wie man vom Haus in das Gewölbe kam.
    Der Plan ging auf. Er hörte Schüsse im Gewölbe, deren Echo wie rollender Donner tönte, aber keiner der Verschwörer kam zum IJ herausgelaufen. Katoen war das nur recht, dieses Gefecht überließ er gern den anderen. Er hatte vorerst genug an Kampf, Blut und Tod.
    Schuitens Trupp war in dem Gewölbe auf insgesamt

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