Die Tulpe des Bösen
Spiegel blickte, sah ich Euch ins Gespräch vertieft. Da hattet Ihr doch gar keine Gelegenheit, meiner Musik zu lauschen.«
»Und doch habe ich es mit großer Freude getan«, erwiderte er, beinahe ein wenig trotzig.
»Ach, wirklich? Dann könnt Ihr mir bestimmt sagen, wer das letzte Stück, das ich gespielt habe, komponiert hat!«
Als ihr Blick halb prüfend, halb herausfordernd auf ihm ruhte, spürte er ein Kribbeln im Nacken, wie er es von beginnenden Abenteuern her kannte. Vom ersten Wort an hatte Catrijn den Verlauf ihres Gesprächs bestimmt. Hatte sie ihn jetzt da, wo sie ihn haben wollte? Da es ihm unmöglich schien, hinter ihre Absichten zu kommen, richtete er seine Gedanken auf das Nächstliegende, auf ihre Frage, und lauschte den Klängen nach, die ihre geübten Finger wenige Minuten zuvor durch den großen Raum gesandt hatten.
»Sweelinck«, sagte er schließlich und hoffte, daß er überzeugter klang, als er war. »Das Stück stammt von Jan Pieterszoon Sweelinck.«
Noch immer ruhte Catrijns prüfender Blick auf ihm. »Seid Ihr Euch da sicher?«
»Ja«, log er, ohne zu zögern.
Catrijn klatschte entzückt in die Hände. »Ich bitte tausendmal um Vergebung für meinen Zweifel, Ihr habt ja doch zugehört! Einen derart vertrauenswürdigen Mann kann ich doch gewiß um Geleit fragen. Draußen wird es finster, und schwere Wolken verhängen den Himmel zusätzlich. Ich begebe mich nur ungern allein auf den Heimweg, gerade jetzt, da ganz Amsterdam sich vor dem Tulpenmörder fürchten muß. Wenn ich meinen Bruder so höre, könnte ich mich bei niemandem sicherer fühlen als bei Euch.«
Jetzt war also heraus, worauf Catrijn die ganze Zeit über abgezielt hatte. Erwartungsgemäß hatte sie einen kräftigen Haken geschlagen und war doch punktgenau ans Ziel gelangt. Vielleicht sollte man künftig nur noch Frauen als Ermittler einsetzen, schoß es Katoen durch den Kopf. Sie verstanden es gewiß vortrefflich, einen Verdächtigen auszuhorchen und gleichzeitig derart in Sicherheit zu wiegen, daß er von alldem nichts mitbekam.
Er unterdrückte ein Schmunzeln und erklärte, selbstverständlich werde er Catrijn gern nach Hause geleiten, und das war nicht einmal gelogen. Er würde auf dem Fest ihres Bruders nicht mehr in Erfahrung bringen, dessen war er gewiß. Warum sollte er da nicht für die reizende Catrijn den Kavalier geben? Wegen des Wetters, dachte er, als sie am Damrak entlanggingen. Wie auf ein geheimes Kommando warfen die schweren Wolken, die über dem schon fast nachtdunklen Amsterdam hingen, ihre nasse Fracht ab. Unablässig prasselte der Regen auf die Dächer, das Straßenpflaster und das Wasser im Damrak. Obwohl er rasch seinen Umhang über den Kopf zog, hatte er binnen Sekunden das Gefühl, durchnäßt zu sein. Catrijn, die ebenfalls ihren Umhang über den Kopf gelegt hatte, mußte es ähnlich gehen, und er fragte sie, ob sie lieber umkehren wolle zum Haus ihres Bruders.
»Nein, wozu? Naß sind wir ohnehin, da können wir unseren Weg auch fortsetzen.«
Also gingen sie weiter und machten sich bald nicht einmal mehr die Mühe, sich dicht bei den Häusern zu halten, was bei weniger starkem Regen ein wenig Schutz gewährt hätte. Ein heftiger Wind blies vom IJ landeinwärts, ließ die auf dem Damrak vertäuten Lastkähne tanzen und trieb den Regen in die kleinste Gasse, in den hintersten Winkel. Kaum jemand begegnete ihnen, nicht einmal eine Streife der Nachtwache. Die hatten sich wahrscheinlich samt und sonders in Amsterdams Kaschemmen geflüchtet. Eigentlich ideales Wetter für den Tulpenmörder, dachte Katoen.
War es der Gedanke an den Mörder, der ihn nervös werden ließ? Als sie die Brücke betraten, die sich über den Achterburgwal spannte, war ihm, als hätte er hinter sich einen Schatten bemerkt. Abrupt blieb er stehen und wirbelte um die eigene Achse, während seine rechte Hand den Dolchgriff an seiner Hüfte suchte.
Überrascht blieb auch Catrijn stehen. »Was habt Ihr denn, Mijnheer Katoen? Seid Ihr noch nicht naß genug, daß Ihr mitten auf der Brücke haltmacht?«
»Mir war, als hätte ich dort hinten bei den Häusern etwas gesehen.«
»Und was?«
»Einen Schatten, der uns verfolgt.«
»Die Nacht ist voller Schatten, aber wer sollte sich bei diesem Wetter die Mühe machen, uns zu folgen?«
Das war eine berechtigte Frage, fand Katoen um so mehr, je länger er durch den dichten Regenschleier starrte und zu erkennen versuchte, ob sich drüben bei den Häusern, die sie soeben passiert
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