Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
Vom Netzwerk:
hatten, etwas bewegte. Er achtete besonders auf die Straßenlampen, deren Lichtkreise das schlechte Wetter zu milchigen hellen Flecken schrumpfen ließ. Trotzdem, wenn sich ein Verfolger hinter ihnen bewegte, mußte er unweigerlich in einen der Lichtflecke treten, und das würde Katoen sehen.
    Aber es tat sich nichts. Vielleicht hatte der Verfolger – so es ihn gab – mitbekommen, daß er nicht unbemerkt geblieben war, und hielt deshalb still. Schon ein Hauseingang konnte in dieser Nacht einen Menschen verschlucken. Katoen widerstand der Versuchung, zurückzugehen und die Häuser Stück für Stück, Eingang für Eingang abzusuchen. Er war schon naß genug, und vermutlich bildete er sich bloß etwas ein.
    Also drehte er sich wieder zu Catrijn um. »Meine Phantasie hat mir einen Streich gespielt, wie es aussieht. Gehen wir weiter!«
    Catrijn lächelte schelmisch. »Das kommt davon, wenn man sich mit nichts anderem als der Jagd nach dem Tulpenmörder befaßt.«
    Endlich erreichten sie Catrijns Haus, durchschritten eilig die Räumlichkeiten der zu ebener Erde liegenden Apotheke mit ihren vielfältigen, strengen Gerüchen und begaben sich über eine enge Treppe in das erste Obergeschoß, wo Catrijn ihn in einen behaglich eingerichteten Salon führte. Auch hier stand ein Virginal, und er stellte sich vor, wie sie abends hier saß und das Haus mit Musik erfüllte.
    Es war eine angenehme Vorstellung, und er fragte sich, ob es nicht allmählich Zeit wurde, sein Junggesellendasein zu beenden. In der Jugend hatte es unbestreitbar seine Vorteile, frei und ungebunden zu sein, durch die Wirts-und Musikhäuser zu ziehen, bis der Morgen graute, und sein Leben nach niemandes Vorstellungen ausrichten zu müssen. Aber jetzt, da er bald seinen fünfunddreißigsten Geburtstag feiern würde, sehnte er sich immer öfter nach erleuchteten Zimmern, wenn er abends heimkam, nach einer Stimme, die ihn froh willkommen hieß, nach einer Umarmung und einem zärtlichen Kuß. Konnte Catrijn die Frau sein, die ihm das alles gab? Selbst jetzt, da sie tropfnaß vor ihm stand, fühlte er sich stark zu ihr hingezogen.
    Und er selbst? Konnte er das bieten, was eine Frau wie Catrijn von einem Mann erwartete? Als Amtsinspektor hatte er eine gute Stellung inne, und von seinem Einkommen konnte er ohne Schwierigkeiten leben. Wollte er davon eine Familie ernähren, würde er sich einschränken oder etwas hinzuverdienen müssen. Oder auch nicht, denn Catrijns Apotheke schien gut zu gehen. Häßlich bin ich auch nicht, dachte er, als er sich in einem schmalen Spiegel sah, der neben der Salontür hing. Er war hoch gewachsen und schlank, hatte dunkelbraunes Haar, und sein Gesicht konnte trotz einer gewissen Härte im Ausdruck als gutaussehend bezeichnet werden. Er wußte, daß er beim schönen Geschlecht durchaus Anklang fand. Seit er sich im vergangenen Jahr den Bart hatte abnehmen lassen, den er lange um Mund und Kinn getragen hatte, wirkte er nach seiner Einschätzung sogar etwas jünger, als er war.
    Hatte Catrijn seine Gedanken erraten? Ein unergründliches Lächeln lag plötzlich auf ihrem Gesicht, und rasch wandte er sich von dem Spiegel ab.
    »Wartet hier, Mijnheer Katoen.« Sie verschwand kurz und kehrte mit einem kleinen Stapel Wolltücher zurück. »Bei dem Wetter schicke ich Euch nicht zurück auf die Straße, und so vollkommen durchnäßt könnt Ihr auch nicht bleiben, sonst holt Ihr Euch noch den Tod. Zieht Euch aus und reibt Euch trocken. Wenn ich selbst fertig bin, bringe ich Euch etwas Trockenes zum Anziehen. Ich habe noch ein paar Sachen von meinem verstorbenen Mann, die müßten Euch eigentlich passen.«
    Die Vorstellung, die nassen, an seinem Leib klebenden Kleider gegen trockene auszutauschen, war zu verlockend, als daß er hätte widersprechen mögen. Außerdem gefiel ihm die Aussicht, noch einige Zeit in Catrijns Nähe zu bleiben. Also zog er sich, nachdem sie den Salon verlassen hatte, aus, legte seine nassen Sachen über einen Stuhl, und rieb sich vom Kopf bis zu den Füßen mit den Wolltüchern ab.
    Kaum war er fertig, bemerkte er, daß er nicht länger allein im Salon war. Catrijn war eingetreten und betrachtete unverhohlen seinen nackten Körper. Was ihn noch mehr verblüffte: Auch sie war vollkommen nackt, trug nichts außer der goldenen Kette, deren Perlenanhänger zufrieden zwischen ihren großen Brüsten ruhte. Ihr zuvor kunstvoll frisiertes Haar fiel jetzt offen über die runden Schultern, was sie um einige Jahre jünger aussehen

Weitere Kostenlose Bücher