Die Tulpe des Bösen
Pech. Dircks’ unverhohlener Haß gegen ihn ließ jeden Versuch, die Auseinandersetzung durch ein paar klärende Worte zu bereinigen, aussichtslos erscheinen.
Während er verzweifelt überlegte, was er tun konnte, sah er eine weitere Gestalt mit einem Degen in der Hand aus dem Dunkel auftauchen. Das schien sein Schicksal endgültig zu besiegeln.
Doch dieser Mann griff nicht ihn an, sondern den Kartenschnapper mit der Axt. Verwirrend fand Katoen auch, daß sein unerwarteter Helfer, ein Mann von großer, schlanker Gestalt, über Kopf und Gesicht eine schwarze Maske trug, die nur Augen, Nase und Mund freiließ. Der Maskierte war ein erfahrener Fechter und brachte seinen Gegner mit schnellen, gewandten Manövern in die Defensive. Sein Degen riß das Wams des Kartenschnappers auf und verletzte ihn rechts an der Brust.
Auch Katoens Gegner war von dem plötzlichen Auftauchen des Maskierten überrascht worden, was Katoen zu einem Gegenangriff ausnutzte. Bevor der wuchtige Mann noch mit dem Knüppel ausholen konnte, hatte Katoen ihm seine Klinge in die Brust gestoßen. Der Aufschrei des Getroffenen gellte über den Hof. Der Mann ließ den Knüppel fallen, preßte beide Hände gegen die Wunde und sackte auf die Knie.
Katoens zweiter Gegner zog sich zurück und rief etwas, das Katoen nicht verstand. Es mußte ein Signalruf an die Komplizen gewesen sein, denn gleich darauf hörte er eilige Schritte näher kommen.
»Laßt uns von hier verschwinden!« rief er seinem maskierten Retter zu. »Die Kerle kriegen gleich Verstärkung!«
Er selbst klaubte rasch seine Degenscheide auf und verließ den Hinterhof im Laufschritt. Als er draußen vor dem Grünen Papagei stand, war von dem geheimnisvollen Helfer nichts mehr zu sehen. Der schien auf einem anderen Weg so unerwartet verschwunden zu sein, wie er aufgetaucht war; das Gewirr enger Gassen hatte ihn wohl schon verschluckt. Wie gern Katoen auch gewußt hätte, wer das gewesen war, er hegte nicht die geringste Absicht, im Dunkel des Labyrinths nach dem Fremden zu suchen. Zu groß war die Gefahr, dabei den Kartenschnappern in die Hände zu fallen.
Die Verstärkung der Kartenschnapper mußte den Hinterhof inzwischen erreicht haben. Er hörte Fetzen einer lauten, hastigen Unterhaltung.
Eilig entfernte er sich vom Ort des vereitelten Tauschhandels, der sich so plötzlich in ein Schlachtfeld verwandelt hatte. Aber nicht um den mißglückten Austausch kreisten seine Gedanken, sondern um den Mann mit der schwarzen Maske.
K APITEL 10
Der Verfolger
D ONNERSTAG , 11. M AI 1671
W as ist das?« fragte Joan Blaeu, als Katoen ihm am nächsten Morgen in der Gravenstraat den Lederbeutel zurückgab.
»Eure Wechsel.« Katoen sah die fragenden Blicke des Kartenmachers und seines Hauptkontoristen und berichtete, was sich in der vergangenen Nacht zugetragen hatte. »Und jetzt kehre ich, unverrichteter Dinge und zerknirscht, zu Euch zurück.«
Blaeu wirkte wie versteinert, und Barent Vestens ergriff das Wort: »Ihr habt Eure Aufgabe nicht erfüllt, Mijnheer Katoen, also steht Euch auch das vereinbarte Entgelt nicht zu.«
Katoen hielt dem vorwurfsvollen Blick stand und erwiderte ruhig: »Das ist mir bewußt.«
»Ihr nehmt das alles sehr gelassen!« knurrte Vestens.
»Als mich in der Nacht auf dem Hinterhof des Grünen Papageis die bewaffneten Kartenschnapper angriffen, war ich wahrlich nicht gelassen, aber inzwischen hatte ich Zeit, mich zu beruhigen. Mein linker Arm allerdings, wo mich ein Holzknüppel traf, schmerzt noch immer.«
»Immerhin seid Ihr mit heiler Haut davongekommen«, brummte der Hauptkontorist, noch immer in vorwurfsvollem Ton.
»Ich hatte Glück«, erwiderte Katoen nur.
Von dem geheimnisvollen Helfer erzählte er den beiden nichts. Im nachhinein kam ihm das Eingreifen des Maskierten, der wie aus dem Nichts aufgetaucht und auf ebenso mysteriöse Weise wieder verschwunden war, wie ein Traum vor. Den nächtlichen Mißerfolg eingestehen zu müssen war schon unangenehm genug, da vermied er es lieber, von einem Helfer zu berichten, über den er so gar nichts wußte.
»Ob Ihr in der vergangenen Nacht Glück hattet, ist Ansichtssache«, fuhr Vestens fort. »Durch Euer Verhalten ist der Rückkauf der gestohlenen Karten vereitelt worden. Es ist Eure Schuld, wenn der Diebstahl jetzt bekannt wird und unsere Reputation Schaden nimmt!«
»Ich habe mein Bestes getan. Daß ich beim Grünen Papagei ausgerechnet auf jenen Jaepke Dircks treffen mußte, den ich erst zwei Nächte zuvor
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