Die Tulpe des Bösen
Schuhen und einen Hut statt ihres Kopftuches getragen hatte. Und das Rapier, das sie besser zu führen wußte als mancher Mann. Es war ein und dieselbe Person, und doch schien die Frau, die da neben ihm durch die Plantage flanierte, nichts mit der kämpferischen Anna der vergangenen Nacht gemeinsam zu haben, so als wohnten zwei grundverschiedene Wesen in Annas Körper.
Katoen kaufte an einem Stand zwei Becher mit Himbeersaft, und sie setzten sich auf eine der Steinbänke, die in Abständen den Weg säumten. Jetzt erst wurde ihm bewußt, daß sie unmittelbar auf ein großes Tulpenbeet blickten. Die an den Rändern ausgefransten Blütenblätter leuchteten in einem kräftigen Gelb und waren von roten, ebenfalls zerfransenden Streifen durchzogen. So schön die gelbrote Blütenpracht auch war, es ging doch zugleich etwas Beunruhigendes, Bedrohliches von ihr aus. Vielleicht lag das an den roten Streifen, die, wenn die Blüten sich im Wind bewegten, aussahen wie züngelnde Flammen.
»Laßt uns lieber einen anderen Platz suchen«, schlug er vor.
Anna wirkte amüsiert. »Das ist lieb von Euch, Jeremias, aber Ihr müßt wirklich keine Rücksicht auf mich nehmen, weil man meinen Vater den Tulpenhasser nennt. Ich teile die dunkle Leidenschaft, die in seiner Seele schlummert, nicht. Was er erlebt hat, trübt seinen Verstand, sonst wüßte er, daß die Tulpen unschuldig sind und es immer waren. Die Menschen sind es, die sich selbst oder ihre Mitmenschen ins Unglück stürzen, durch Gier, durch Haß oder einfach nur durch Unachtsamkeit. Alle wollten sich damals das große Tulpenfieber zunutze machen, je mehr es dabei zu verdienen gab, desto besser, und niemand dachte daran, daß das, was der eine verdient, vom anderen auch bezahlt werden muß.«
»So hat die Tulpe Euren Ziehvater und viele andere mit ihm ins Unglück gestürzt.«
»Falsch. Die Tulpe war nur der Gegenstand ihres Drangs nach Gewinn. Das hätte ebensogut eine andere Blume sein können, ein seltenes Gewürz aus Übersee, Gold oder Silber. Wer sein Haus oder sein Geschäft für ein paar Tulpenzwiebeln hingibt, trägt selbst die Schuld an seinem Unglück.«
»Wollt Ihr Euren Ziehvater anklagen?«
»Nein, das will ich ganz gewiß nicht. Warum auch? Ich bin kein Opfer seiner Spekulationen, sondern habe ihn erst kennengelernt, als er längst sein eigenes Opfer geworden war. Er hat mich aufgenommen und sich um mich gekümmert, und ich empfinde für ihn nichts als Dankbarkeit, Sorge und Liebe.«
»Ihr sprecht von ihm, als sei er Euer wahrer Vater.«
»Kann mir der eine nicht so lieb sein wie der andere? Ihre Charaktere mögen unterschiedlich sein, aber ihre Schicksale haben Gemeinsamkeiten. Beide haben ihr Leben der Tulpe gewidmet, und beide sind dadurch ins Unglück geraten. Der Unterschied ist, daß Sybrandt Swalmius langsam stirbt und dabei leidet, wohingegen Julien de Montfor einen schnellen Tod fand.«
»Ihr macht mich neugierig. Vielleicht ist es das Beste, Ihr erzählt mir die Geschichte von Anfang an.«
Anna nahm einen Schluck aus ihrem Zinnbecher, den sie mit beiden Händen umfaßte, und schien zu überlegen, wie sie beginnen sollte. »Was wißt Ihr über die Geschichte der Tulpe?« fragte sie schließlich.
»Oh, nicht sonderlich viel. Hierzulande kennt man sie noch keine hundert Jahre. Wenn ich mich recht entsinne, hat ein Franzose mit lateinischem Namen sie in die Niederlande gebracht.«
»Ihr entsinnt Euch recht, Jeremias, jedenfalls einigermaßen. Eigentlich hieß er Charles de l’Écluse, aber allgemein ist er als Carolus Clusius bekannt. Allerdings war er nicht Franzose, sondern Flame, geboren in Atrecht an der Grenze zu Frankreich. Im Jahr 1593 wurde er als Professor für Botanik an die Universität von Leiden berufen, und er brachte einen Vorrat an Tulpenzwiebeln mit. Von dort aus fand die Tulpe schnell Verbreitung überall in den Niederlanden. Es heißt übrigens, Clusius habe so viel Geld für seine Tulpenzwiebeln verlangt, daß er kaum Käufer gefunden habe, dafür aber kräftig bestohlen worden sei.«
»Da fehlte ihm wohl eine so ausgeklügelte Warneinrichtung, wie unser Tulpennarr van Dorp sie ersonnen hat«, sagte Katoen und dachte an seine erste Begegnung mit Anna in van Dorps Tulpengarten zurück. »Wie ist dieser Clusius eigentlich in den Besitz seiner Tulpenzwiebeln gelangt?«
»Soweit ich weiß, hat er sie ergattert, als er Hofbotaniker bei Kaiser Maximilian II. in Wien war, in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts. Ein
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