Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
Vom Netzwerk:
eigenen Ohren fremd, fast wie Metall. »Er hat Kampen ebenso getötet wie van Rosven.«
    »Van Rosven?« wiederholte Dekkert alarmiert.
    Katoen schluckte, bevor er antwortete: »Der Tote hier ist Paulus van Rosven. Der Sohn des ersten Opfers ist das dritte Opfer des Mörders geworden.«
    »Schlimm ist das«, murmelte van der Zyl, »furchtbar. Paulus war heute zum ersten Mal bei uns, und dann das! Nur zwei Wochen nach seinem Vater! Wie bringe ich das bloß seiner Familie bei? Und er hinterläßt Frau und Kind!«
    »Das tut Joris Kampen auch«, sagte Katoen.
    »Jaja, natürlich.«
    Dekkert starrte mit düsterer Miene seinen toten Kollegen an und fragte: »Woher wissen wir überhaupt, daß es der Tulpenmörder war? Diesmal hat er keinen Dolch zurückgelassen.«
    Katoen kniete neben dem toten Paulus van Rosven nieder und öffnete seine Hand. Darin lag ein Blütenblatt, schwarz mit blutroten Tropfen.

K APITEL 20
    Schatten über Amsterdam
    D IENSTAG , 16. M AI 1671
    A m Dienstagvormittag hing noch immer Nebel über Amsterdam. Zusätzlich hatte Regen eingesetzt, kein heftiger Schauer, sondern ein ständiges, penetrantes Nieseln. Das sieht wirklich unangenehm aus, dachte Katoen, als er durch die großen Rathausfenster hinaus auf den Dam blickte, wo noch nicht so viel Betrieb herrschte wie sonst um diese Tageszeit. Weniger Marktstände, weniger Besucher. Das Wetter schreckte Händler wie Käufer ab, Katoen aber wäre froh gewesen, hätte er jetzt da draußen sein können. Statt dessen hatte der Amtsrichter ihn zu sich bestellt, und ihm war klar, daß es keine angenehme Unterredung werden würde.
    Nicolaas van der Zyl mußte eben noch draußen gewesen sein. Sein Haar schimmerte feucht, und unter seinem Umhang, der an einem Holzhaken neben der Tür hing, bildete sich eine kleine Pfütze. Sie erinnerte Katoen an die Blutlache, die er neben Kampens Leiche gesehen hatte. Der Amtsrichter saß rauchend hinter seinem Schreibtisch und wirkte grau im Gesicht. Seine Schultern hingen nach vorn, und er hatte in diesem Augenblick nichts, aber auch gar nichts gemein mit dem wackeren Admiral Maarten Harpertszoon Tromp, der von dem Wandgemälde aus den Raum überblickte.
    »Setzt Euch, Katoen.« Van der Zyl deutete in einer fahrigen Geste auf den Besucherstuhl. »Wenn ich Euch so anblicke, denke ich, Ihr seht genauso elend aus, wie ich mich fühle.«
    Jetzt mußte Katoen trotz allem grinsen. »Danke gleichfalls, Mijnheer van der Zyl.«
    »Sagt ruhig Nicolaas zu mir, Jeremias.«
    Verwundert nahm Katoen zur Kenntnis, daß sein Gegenüber innerhalb einer Minute vom Familien-zum Rufnamen überging. Wie lange würde er wohl diesmal dabei bleiben?
    »Wir haben uns vergangene Nacht wohl beide nicht mit Ruhm bekleckert«, seufzte der Amtsrichter.
    Daher wehte also der Wind. Van der Zyl suchte jemanden, auf den er einen Teil der Verantwortung abwälzen konnte, obwohl er derjenige gewesen war, der darauf bestanden hatte, das Treffen am Montagabend im Wirtshaus Zu den drei Tulpen abzuhalten.
    Katoen mußte sich nichts vorwerfen, er hatte den Plan zur Überwachung der Gegend rund um das Wirtshaus nach bestem Wissen und Gewissen aufgestellt. Auf den Nebel hatte er keinen Einfluß. Aber er beschloß, sich ruhig und abwartend zu verhalten. Es war nicht klug, sich seinen Vorgesetzten zum Feind zu machen.
    »Ich komme gerade vom Haus der van Rosvens«, fuhr van der Zyl fort. »Kein angenehmer Besuch, das kann ich Euch flüstern. Paulus’ Mutter und seine Schwester waren in Tränen aufgelöst, und sein Bruder Mathijs konnte seinen Drang, mich nicht nur mit Worten, sondern auch mit Fäusten anzugreifen, nur mühsam bezähmen. Er hält mich, Euch sowie sämtliche Amtsinspektoren, Büttel und Nachtwächter Amsterdams für vollkommen unfähig. Leider hatte ich angesichts der Ereignisse der letzten Nacht keine überzeugenden Gegenargumente.«
    »Wie hat die Witwe es aufgenommen?«
    »Das war das Schlimmste. Sie hat nichts gesagt, kein einziges Wort. Keine Begrüßung, kein Abschied, keine Frage, nicht einmal ein Vorwurf – jedenfalls nicht mit Worten. Aber ihr Blick, Jeremias, ihr Blick hat mich durchbohrt. Das hättet Ihr nicht erleben wollen.«
    »Nein, sicher nicht«, murmelte Katoen und dachte schweren Herzens daran, daß ihm eine ähnliche Erfahrung bevorstand; den Kondolenzbesuch bei Kampens Familie hatte er noch vor sich.
    »Nur der kleine Junge weiß noch nicht, was geschehen ist«, sagte van der Zyl. »Ganz munter hat er dagesessen und mit einem

Weitere Kostenlose Bücher