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Die Tulpe des Bösen

Die Tulpe des Bösen

Titel: Die Tulpe des Bösen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kastner
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meiner Schwester ihr Verhalten am Sonntag nicht übelnehmen. Frauen sind in Herzensangelegenheiten zuweilen überempfindlich, aber das wißt Ihr sicher.«
    Katoen war überrascht. Im Grunde hatte der Amtsrichter nichts anderes gesagt als: »Faßt den Tulpenmörder, und Ihr dürft meine Schwester heiraten.« Katoen aber war gar nicht mehr so sicher, ob ein Leben an ihrer Seite für ihn eine verlockende Aussicht darstellte.
    Van der Zyl faßte sein Schweigen anders auf. »Ihr scheint mir nicht gerade frohgemut Jeremias. Glaubt mir, in wichtigen Dingen hat meine Schwester immer auf mich gehört!«
    Nur um überhaupt etwas zu sagen, erwiderte Katoen. »Am Sonntag hatte ich den Eindruck, daß sie auch sehr genau auf diesen Apotheker hört.«
    »Ach, Hartig.« Der Amtsrichter wedelte geringschätzig mit der Hand. »Der liebeskranke Tor ist doch kein Rivale für Euch. Catrijn hätte sich einen anderen Apotheker ins Geschäft holen sollen als ausgerechnet diesen gescheiterten Schauspieler.« Als er Katoens fragende Miene sah, erklärte er: »Jaja, Pieter Hartig war früher beim Theater, in Haarlem. Nach einem Eklat, irgendeine dumme Eifersuchtsgeschichte, glaube ich, mußte er nicht nur das Theater verlassen, sondern gleich die Stadt. Er kam nach Amsterdam und hat seinen alten Beruf an den Nagel gehängt. Doch es scheint noch genug Schauspielerblut in seinen Adern zu fließen, um Catrijn in die Irre zu führen. Wenn er sich künftig nicht zurückhält, werde ich mal ein ernstes Wort mit ihm reden müssen. Kümmert Euch nicht um ihn, Jeremias, Eure ganze Sorge sollte nur einem Mann gelten, dem Tulpenmörder!«
    Auf dem Gang, an dem Katoens Amtsstube lag, stand Jan Deckert und blickte seinem Baas halb skeptisch, halb erwartungsvoll entgegen. Sein jungenhaftes Gesicht wirkte gar nicht mehr so jung, und die sonst stets leuchtenden blauen Augen waren stumpf und umschattet von tiefen Ringen. Man sah ihm die aufreibende, nahezu schlaflose Nacht an.
    »Wie war es?« fragte er, noch bevor Katoen ihn ganz erreicht hatte. »Sind wir noch im Spiel?«
    Katoen nickte. »Wenigstens für eine Woche. Wenn wir den Tulpenmörder dann nicht haben, werde ich zurücktreten.«
    »Von dem Fall?«
    »Von dem Fall und von meinem Amt.«
    Dekkert stieß einen leisen Fluch aus und sagte: »Wir werden das Dreckschwein kriegen, das Joris auf dem Gewissen hat! Eine Woche wird uns reichen!«
    »Mögen Eure Worte erhört werden«, sagte Katoen mit einem dankbaren, aber müden Lächeln. »Wie wäre es mit einem wärmenden Schluck im Damtänzer?«
    »Gern.«
    Sie holten ihre Hüte und Umhänge und verließen das Rathaus. Der Damtänzer war ein großes Wirtshaus am Dam, über dessen Eingang sich zu jeder vollen Stunde ein mechanischer Tänzer drehte, ein Apparat, wie er gut in Lingelbachs Irrgarten gepaßt hätte. Das zurückhaltende Markttreiben auf dem Dam zeigte im Wirtshaus seine Wirkung: Noch nicht einmal die Hälfte der Tische war besetzt. Katoen erinnerte sich an Tage, an denen man hier froh sein konnte, an einem bereits besetzten Tisch noch einen freien Platz zu ergattern. Sie suchten sich einen abgeschiedenen Tisch zwischen Ausschank und Tür und bestellten eine kleine Karaffe Tänzerbrand. So nannte sich die Spezialität des Hauses, ein durch Hinzugabe diverser Gewürze aromatisierter Branntwein, dessen Rezept streng unter Verschluß gehalten wurde.
    Die füllige Schankmagd nickte und fragte: »Haben die Herren auch Hunger?«
    »Eigentlich ja«, sagte Katoen und erweiterte seine Bestellung um einen Teller Schmalzbrote. Als die Magd den Tisch verlassen hatte, fügte er hinzu: »Ich habe seit gestern abend nichts mehr gegessen. Jetzt merke ich plötzlich, wie hungrig ich bin.«
    »Mir geht’s ähnlich«, sagte Dekkert. »Ich habe zwar heute morgen versucht zu frühstücken, aber ich konnte keinen Bissen herunterbringen. Immerzu mußte ich an Joris denken, wie er da auf Marken lag und das Leben aus ihm heraustropfte. Wie die Tropfen auf dieser verdammten Tulpe. Wenn wir den Mörder haben, stopfe ich ihm so viele Tulpen ins Maul, daß er daran erstickt!«
    »Ich fühle genau wie Ihr, Jan, aber trotzdem müssen wir einen kühlen Kopf bewahren, wenn wir nicht versagen wollen.«
    Die Schankmagd brachte den Branntwein und die Brote. Sie hoben die gefüllten Becher, und Katoen sagte: »Auf Joris Kampen! Auf daß wir ihn nie vergessen!«
    Dekkert wiederholte den Trinkspruch, und sie leerten ihre Becher auf einen Zug. Im ersten Augenblick brannte es

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