Die Tulpe des Bösen
und ich werde ihn schweren Herzens gehen.«
»Möchtet Ihr, daß ich Euch begleite?«
»Nein, besser nicht. Besucht Joris’ Angehörige ein anderes Mal. Wenn hin und wieder jemand von uns vorbeischaut, fühlen sie sich nicht so allein gelassen.« Er leerte den letzten Becher Branntwein und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Auf geht’s!«
Es ging auf Mittag zu, als Katoen den Weg zum Jordaanviertel einschlug. Der Nebel hatte sich noch immer nicht verzogen, die ganze Welt schien nur noch aus Dunst und Feuchtigkeit zu bestehen. Er mußte sich zwingen, einen Fuß vor den anderen zu setzen, nicht wegen des Wetters, sondern wegen der Aufgabe, die vor ihm lag.
Zwar hatte noch in der Nacht ein Bote des Amtsrichters Joris Kampens Gemahlin vom Ableben ihres Mannes unterrichtet, doch das würde ihm die Sache kaum erleichtern. Die Verzweiflung, die Tränen, vielleicht sogar Vorwürfe, offen ausgesprochen oder nur durch Blicke übermittelt, aber deshalb nicht weniger bedrückend, das alles war ihm nicht neu, und doch hatte er sich nie daran gewöhnen können. Aber es war nun einmal seine Pflicht; er schuldete das dem Toten ebenso wie den Hinterbliebenen.
Joris Kampen war immer zuverlässig gewesen, wenn auch weder der Hellste noch der Schnellste. Aufgaben, die Köpfchen und Gewandtheit verlangten, hatte Katoen deshalb stets lieber Dekkert übertragen, und Kampen hatte das vielleicht gewußt oder zumindest gespürt. Aber Katoen hatte nie einen Grund gehabt, sich über ihn zu beklagen. Hatte er Kampen mit einem klar umrissenen Auftrag betraut, hatte dieser ihn erfüllt. Er hatte stets seinen Mann gestanden, so wie am Abend zuvor, als er sich, wie es aussah, dem Tulpenmörder entgegengestellt hatte, um Paulus van Rosven zu schützen. Zwar hatte er versagt, aber Katoen konnte nicht sagen, ob es ihm an Kampens Stelle nicht ebenso ergangen wäre. Vielleicht war es schlichtweg ein Zufall, daß Kampen tot war und er noch lebte.
Als er den Grachtengürtel hinter sich gelassen hatte und den Randbezirk des Jordaan erreichte, fielen ihm die Schritte auf. Nicht seine, sondern fremde Schritte im Nebel, die ihn zu begleiten schienen. Er vermutete, daß sie hinter ihm waren. War das ein Zufall, oder wurde er verfolgt?
Die Vorsicht gebot, letzteres anzunehmen. Aber was sollte er tun? Hier an den Grachten war es so diesig, daß er einen anderen Menschen erst hätte sehen können, wenn der auf Armeslänge an ihn herangekommen wäre. Der mutmaßliche Verfolger schien sich an Katoens Schritten auszurichten. Blieb Katoen stehen, um ihm aufzulauern, würde der andere das unweigerlich hören und ebenfalls anhalten.
Während er weiterging und darüber nachdachte, wie er sich verhalten sollte, änderten sich die dumpfen Geräusche. Plötzlich hörte es sich an wie ein Kampf, und er meinte, einen erstickten Schrei zu hören.
Die einzige Waffe, die er bei sich trug, war sein Dolch. Er zog ihn aus der Scheide an seiner Hüfte und ging vorsichtig den Weg zurück, den er gekommen war. Vielleicht war der Kampf nur vorgetäuscht, eine Falle für ihn. In diesem Fall, dachte er bitter, hatte er Jan Dekkert gerade noch rechtzeitig in alles eingeweiht.
Vor ihm schälten sich aus dem Dunst zwei Gestalten, die sich am Boden wälzten und miteinander rangen. Er kannte sie beide und hätte nicht gewußt, auf wen er wetten sollte, obwohl einer der beiden seinen Gegner um Haupteslänge überragte und auch sonst kräftiger wirkte. Doch der kleinere der beiden Männer war gewitzt und wendig, und immer wieder gelang es ihm, der Umklammerung des anderen zu entkommen. Wie ein Wiesel oder, wenn es nach Dekkert ging, wie eine Ratte.
»Aufhören!« befahl Katoen und ließ den Dolch wieder in der Scheide verschwinden. »Ich habe keine Lust, länger hier herumzustehen und euch zuzusehen. Ihr bietet ohnehin eine traurige Vorstellung.«
Jaepke Dircks und Henk Bogaert lösten sich voneinander und blickten zu ihm auf. Der kleine, flinke Bogaert erhob sich als erster, klaubte seinen Hut vom Boden auf und stülpte ihn auf sein dunkles, struppiges Haar. Ein Grinsen schlich sich in sein ewig zerknautschtes Gesicht, das Katoen immer an ein ungemachtes Bett erinnerte.
»Der Kerl hier hat Euch verfolgt, Inspektor Katoen, schon eine ganze Weile. Ich kenne ihn. Das ist der berüchtigte Kuppler Dircks. Als ich ihn zur Rede stellen wollte, hat er mich angegriffen.«
Dircks war inzwischen auch aufgestanden und drohte dem kleineren Bogaert mit der Faust. »Was
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