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Die Tunnel der Seele

Die Tunnel der Seele

Titel: Die Tunnel der Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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Lichtstrahlen waren sein einziger Trost. Er roch seinen eigenen Angstschweiß und fragte sich, ob die Ratten von dem salzigen Geruch angezogen wurden.
    Plötzlich raschelten auf dem Boden über ihm Blätter. Mit einem rostigen Knarren wurde das Scheunentor geöffnet. Dann ein dumpfer Schlag. Mason stellte sich vor, wie Ransoms Körper auf die Dielen krachte, seine Gliedmaßen reglos in der Luft hängend. Schließlich ging die Laterne über ihm aus und Mason kauerte im Stockdunkeln. Um ihn herum war es so schwarz wie noch nie zuvor in seinem Leben.
    Nein, das stimmte nicht. Er hatte schon einmal eine noch schlimmere Finsternis erlebt.
    Ist schon eigenartig, wie einem bestimmte Dinge plötzlich wieder bewusst werden. Vielleicht war dies einer von diesen Tunneln der Seele. Eine Erinnerung, die wie ein Leichnam begraben worden war, sodass das Fleisch bis auf die Knochen verwest und das Skelett schon langsam zu Staub geworden war, ohne jede nachweisbare Spur von Existenz. Alles, was blieb, war dieser kleine Funken, dieses verborgene Körnchen Asche, das nur auf einen Windstoß wartete, um entfacht zu werden, um den Körper wieder zum Leben zu erwecken, um die Erinnerung in all ihrer scheußlichen Pracht wieder auferstehen zu lassen.
    Ist schon eigenartig, wie die Dinge laufen können.
    Dies war sie, die Erinnerung. Nur dass dies hier nicht real sein konnte. Oder war das, was er zuerst erlebt hatte, nicht Wirklichkeit gewesen, sondern nur eine verschwommene Vision? Aber letztendlich war das jetzt auch egal. Denn Vergangenheit und Gegenwart waren plötzlich dasselbe, verschmolzen zu einem Ganzen, das nichts als herzzerreißende Angst hinterließ.
    Das Quieken.
    Die Ratten, die durch die Dunkelheit purzelten wie Süßkartoffeln oder das Spielzeug eines Kindes. Wie viele es waren?
    Eine allein war schon zu viel. Wie oft hörte er sie quieken? Mason hielt den Atem an, damit er besser hören konnte. Zehn Mal. Fünfzehn Mal. Vierzig Mal.
    Mutter war nicht in der Stadt. Jemand war gestorben, das war alles, was Mason wusste. Noch nie zuvor hatte er seine Mutter so viel weinen sehen. Mason bemerkte, dass etwas mit ihr nicht stimmte, als sie ihn mehr umarmte und küsste als sonst, ihn stundenlang auf dem Schoß hielt. Dann war sie weg.
    Und sein Vater mit all seinen Flaschen war die einzige Erinnerung, die Mason danach blieb. Er lag in seinem Gitterbettchen, seine Decken waren nass, aber aus Angst traute er sich nicht zu weinen. Wenn er heulen würde, käme vielleicht Mami zu ihm. Doch wenn sie nicht kam, würde sein Vater kommen. Und der würde nur wahnsinnig werden, brüllen und irgendetwas kaputt machen.
    Also schwieg Mason lieber. Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Durch das Fenster drang kein Sonnenlicht, das einzige Licht, das im Zimmer schien, war die Lampe, die sein Vater an- und ausknipste. Einmal hatte er auf dem Boden geschlafen und Mason spähte durch die Gitterstäbe seines Bettchens, sah ihn da unten liegen mit seiner umgekippten Flasche, aus der braune Flüssigkeit lief.
    Dann wachte er auf, rieb sich die Augen, brüllte, schaute zu Mason ins Bett und ließ ihn wieder im Nassen liegen. Er machte das Licht aus, ging aus dem Zimmer und schloss die Tür. Mason konnte sich noch genau daran erinnern, wie es immer dunkler wurde, wie verängstigt er war, als der Lichtstrahl immer kleiner wurde. Dann knallte die Tür zu und um ihn herum war nichts als tiefste, undurchdringbare Finsternis.
    Er hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Masons kleines Herz pochte ihm bis zum Hals, hämmerte, schrie vor Angst. Weinen würde nichts bringen. Mama war ja nicht da. Und seine Schreie würden vielleicht
diese Viecher
herbeirufen. Er schloss die Augen und öffnete sie wieder. Doch es machte keinen Unterschied. Ein Schwarz glich dem anderen, nichts als Finsternis.
    Auf dem Boden im Rübenkeller kauernd schloss Mason die Augen, öffnete sie wieder, versuchte, die Erinnerung wegzuzwinkern. Er bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Irgendwo hatte er einmal gelesen, dass Ratten sich zuerst auf die weichen Teile stürzen würden, die Augen, die Zunge, die Genitalien. Aber seine Hände reichten einfach nicht aus, um sich vor diesem Angriff in Überzahl zu schützen.
    Er erinnerte sich. Das Jagen in der Dunkelheit. Das Kratzen an der Wand. Das Trommeln von Krallen auf dem Holz. Das vergnügliche Quieken beim Entdecken der Beute. Es war so dunkel im Zimmer, dass er selbst mit größter Mühe nicht einmal ihre leuchtenden Augen sehen

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