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Die Tunnel der Seele

Die Tunnel der Seele

Titel: Die Tunnel der Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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tanzend davon. Du rennst und sie rennen schneller. Du schaust in die Dunkelheit und siehst nichts als schwarze Nacht.
    Geister folgten ihren eigenen Regeln. Anna hatte die Vermutung, dass Geister keine Geheimnisse enträtseln mussten, keine Erklärungen verlangten. Die großen Mysterien des Lebens schienen keine große Bedeutung für diejenigen haben, die nicht mehr unter den Lebenden weilten. Ohne Zweifel erhielten Geister alle notwendigen Erklärungen im Jenseits als Willkommensgeschenk überreicht. Aber vielleicht wollten die Toten ja ein wenig Unterhaltung. Nach einer Weile wurde die Ewigkeit bestimmt ein wenig langweilig.
    Anna sorgte sich nicht, dass sie sich im Wald verlaufen könnte, auch wenn die hell erleuchteten Fenster von Korban Manor schon außer Sichtweite waren. Nachdem sie das Haus verlassen hatte, war sie zur Scheune gegangen und hatte dort vier Pferde in ihren Ställen vorgefunden. Sie hatte ihren Hals gekrault und über die borstigen Haare auf ihren Nüstern gestreichelt.
    Der warme Geruch der Tiere war sehr tröstlich gewesen. Der Duft nach Heu und Dünger hatte in ihr Erinnerungen an eine ihrer Pflegefamilien hochgebracht, die in West Virginia eine Farm unterhalten hatte. In diesem Sommer war Anna zur Frau geworden. Ihre ersten sexuellen Erfahrungen hatte sie mit einem hübschen, aber langweiligen Jungen gesammelt, der jeden zweiten Tag vorbei kam, um die Eier abzuholen. Dort hatte sie auch Stunden auf dem verunkrauteten, örtlichen Friedhof verbracht, hatte zwischen den bröckelnden, unleserlichen Grabsteinen gesessen und darüber nachgedacht, welche Leute da unter der Erde lagen und welcher Teil von ihnen den Verfall überlebt hatte.
    Darüber dachte sie noch immer nach. Ihre Neugier hatte sie dazu bewogen, an der Duke University Anthropologie und am Rhine Research Center Parapsychologie zu studieren. Und jetzt hatte sie sie dazu gebracht, mitten in der Nacht hinaus in die Wälder zu laufen. Auf Straßen zu wandeln, die nie endeten. Eine Suche ohne Ergebnis. Der Mond und ein kleiner Funken Sternenlicht enthüllten vage die Form der Landschaft. Sie folgte dem Bergkamm bis zu dem Punkt, wo der Boden steil abfiel. Felsblöcke schimmerten in dem schwachen Licht wie schlechte Zähne in einem offenen Mund. Hinter dem Feld aus spitzem Geröll gähnte ein schwarzes Tal, das von einem zeitigen Frost mit einer silbernen Decke überzogen worden war.
    Die Kanten und Wellen der Blue Ridge Mountains wälzten sich in Richtung Horizont. Dazwischen glitzerten in der Ferne die Lichter von Black Rock wie blaue und orangefarbene Juwelen. Im Osten blinkte das rote Licht eines Flugzeugs. Eine kleine fliegende Blechdose, erfunden von Menschen. Einige Passagiere hatten wahrscheinlich Angst vor einem Absturz, einige schlugen sich den Bauch mit abgelaufenen Erdnüssen voll, andere lechzten nach einer Zigarette. Die meisten waren wohl in Gedanken bei Verwandten, Ehegatten und Liebhabern, die sie gerade besucht hatten oder die am Flughafen auf sie warten würden.
    Alle hatten ein Ziel, Dinge, auf die sie sich freuen konnten. Menschen, zu denen sie gehörten. Hoffnungen, Träume, eine Zukunft. Ein Leben. Eine Zeile aus diesem Song von Shirley Jackson ging ihr durch den Kopf, »Journeys end in lovers meeting«, jede Reise endet in den Armen eines Geliebten.
    Ja, genau. Jede Reise endete im Tod, niemals in den Armen eines Geliebten.
    Sie wandte sich von den Lichtern ab, die schon vor ihren Augen zu verschwimmen begannen, und schob ihr Selbstmitleid beiseite. Schließlich musste sie einen Wald erkunden. Und sie spürte ein Kribbeln im Bauch, einen Instinkt, dem sie erfahrungsgemäß vertrauen konnte, auch wenn Stephen nicht in der Lage war, seine Existenz zu beweisen. Zwischen diesen Bäumen und Hügeln wanderten Tote.
    Manchmal fragte sie sich, ob der Krebs eine Weiterentwicklung dieses Instinkts war. Als ob der Tod ihr eigentlicher natürlicher Zustand war und das Leben nur eine Unterbrechung darstellte, die sie für kurze Zeit ertragen musste. Als ob sie eigentlich zu den Toten gehörte und ihr Gespür für sie stärker wurde, je näher die Zeit rückte, da sie einer von ihnen sein würde.
    Das waren morbide Gedanken. Trotzdem konnte sie sich der Jungianischen Symbolik nicht verschließen, als sie den schummrigen Lichtern der Zivilisation, die da in der Ferne lagen, den Rücken zukehrte, um sich allein in den dunklen Wald zu begeben.
    Auf die Suche nach sich selbst.
    Wenn es nun wirklich möglich WÄRE, einen anderen

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