Die Tunnel der Seele
Zigarette suchte. Er zog etwas heraus, das aussah wie ein verknotetes Tuch. Aus einem Ende schaute die Spitze einer Feder heraus. Er malte damit über der Tür des Gefrierhauses ein Kreuz in die Luft. Seine Bewegung war routiniert und flüssig und erschien trotz ihrer Sonderbarkeit natürlich.
Mason erwartete, dass der Mann das Ritual fortsetzte, doch das verknotete Tuch war blitzschnell wieder verschwunden. »Was ist in dem anderen Gebäude?«, fragte Mason einen kurzen Augenblick später.
»Das ist der Vorratsschuppen. Darin bewahren wir Lebensmittel auf, die es nicht so kühl brauchen, zum Beispiel Kürbisse und Gurken und Mais. Hier läuft eine kleine Wasserader entlang, die dort drüben in den Kanal gepumpt wird.«
Mason schaute in die Richtung, in die der Mann wies, und sah ein kleines Rinnsal, das sich seinen Weg durch eine Schicht aus dickem, schwarzem Schlamm bahnte. Am Bachufer zog sich ein Gewirr aus dichten Brombeersträuchern entlang, jetzt im Spätherbst hingen die dunkelroten Früchte schwer an den Zweigen. »Pflücken Sie denn auch die Beeren?«
»Klar, und die Äpfel auch. Hier in der Gegend kann man sich vor Äpfeln kaum retten. Zu jeder Mahlzeit gibt es irgendetwas mit Äpfeln. Kuchen, Teigtaschen, Apfelkompott, Bratäpfel mit Zimt und einem winzigen Schluck Brandy. Wir haben auch einen Gemüsegarten und——«
»
Ransom
!«
Die schrille Stimme ließ beide herumfahren. Miss Mamie stand auf dem Anbau hinter dem Haus und lehnte sich über das Geländer.
»Ja, Miss Mamie«, antwortete der Mann. Das letzte Stück Stärke schien ihn auch noch verlassen zu haben und Mason war sich sicher, dass der alte Mann nun gänzlich in seiner Latzhose verschwinden würde.
»Ransom, du weißt doch, dass du die Gäste nicht belästigen sollst«, sagte Miss Mamie in ihrem hohen, künstlich heiteren Tonfall.
»Ich habe nur—« Für einen Moment blähte Ransom sich auf, schien es sich dann jedoch noch einmal zu überlegen. Konzentriert starrte er auf die Spitzen seiner ausgetretenen Arbeitsstiefel. Die Sonne schien auf die silbernen Haarfäden, die er über seinen kahler werdenden Kopf gekämmt hatte. »Ja, Miss Mamie.«
Triumphierend stand die Gastgeberin an der Verandabrüstung und richtete nun ihre Aufmerksamkeit auf Mason. »Haben Sie gut geschlafen, Mr. Jackson?«
»Ja, gnädige Frau«, log er. Verstohlen blickte er zu Ransom hinüber. Der Mann sah aus, als wäre er mit einem Holzknüppel verprügelt worden. »Ähm … Vielen Dank, dass Sie mich im Zimmer des Hausherren untergebracht haben. Es ist wirklich sehr gemütlich.«
»Reizend.« Sie klatschte in die Hände. Ihre Perlenkette verrutschte auf ihrer Brust. »Ephram Korban wäre sehr erfreut. Sie kennen unser Motto? ›Die wundervolle Isolation von Korban Manor wird das Feuer der Fantasie schüren und den kreativen Geist der Schöpfung entfachen.‹«
»Ja, ich habe die Broschüre gelesen«, sagte Mason. »Und mir sind auch schon ein paar Ideen gekommen. Ich könnte jedoch für den Anfang ein bisschen Hilfe gebrauchen. Wäre es in Ordnung, wenn Ransom mir dabei hilft, das geeignete Holz zu sammeln?«
Miss Mamie runzelte die Stirn und zog ihre Augenbrauen gerade. Ihr Gesicht nahm denselben Gesichtsausdruck wie den von Ephram Korban auf den vielen Gemälden hier im Haus an. Mason erkannte, dass er ihre Autorität infrage gestellt hatte, wenn auch nur ein bisschen. Plötzlich fühlte er sich schuldig, weil er ihre Aufmerksamkeit wieder auf Ransom gelenkt hatte. Sie verschränkte die Arme wie eine Schullehrerin, die über die Bestrafung eines ungezogenen Schülers debattierte.
Einen Moment später sagte sie: »Natürlich ist das in Ordnung. Sofern er seine Aufgaben erledigt hat. Hast du deine Aufgaben erledigt, Ransom?«
Ransom hielt den Blick auf den Boden gerichtet. »Ja, gnädige Frau. Bis zum Abendessen habe ich nichts mehr zu tun. Dann muss ich die Pferde striegeln und nach dem Obst und Gemüse sehen.«
Miss Mamie lächelte und legte wieder ihre heitere Stimme auf. »Reizend. Diese Skulptur sollte dann aber besser perfekt werden, Mr. Jackson. Wir zählen auf Sie.«
»Mein Feuer ist geschürt und meine Kreativität entfacht«, erwiderte Mason. »Ach ja, gibt es einen Raum, in dem ich arbeiten kann, ohne jemanden dabei zu stören? Manchmal arbeite ich bis spät in die Nacht und es gibt leider keine Möglichkeit, Holz zu bearbeiten, ohne dabei so viel Krach zu machen, dass selbst Tote wieder zum Leben erwecken.«
»Im Keller gibt es ein
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