Die Tunnel der Seele
erneut auf das Feuer und aß noch ein Stück Maispuffer.
Das Feuer …
Sylva schaute hinunter auf ihre verschrumpelten Hände.
Wenn sie doch nur den Schmerz gespürt hätte. Wunden, die ohne Schmerzen entstanden waren, heilten am langsamsten.
Der leere Zinnteller lag auf ihrem Schoß. Das Feuer war ausgegangen. Fröstelnd spuckte sie in die Asche. Sie war sich nicht sicher, was ihr mehr wehgetan hatte: als Ephram sie geliebt oder als er sie verlassen hatte.
Sie hatte gewusst, dass Ephram zurückkommen würde. Das hieß aber auch, dass er sie nie richtig verlassen hatte. Er war nicht gestorben, als sie ihn vom Witwensteg hinuntergestoßen hatte. Er war einfach ins Haus gegangen, weil sie ihn im Oktober unter einem blauen Mond getötet hatte.
Es war genau, wie er es vorausgesagt hatte: Holz und Stein wurden sein Fleisch, der Rauch sein Atem und die Spiegel seine Augen, die Schatten das Blut seines ruhelosen Geistes, und sein Herz würde für immer in den Feuern brennen.
Obwohl es warm war, zitterte sie und griff nach den Streichhölzern.
15. KAPITEL
I m Licht der aufgehenden Sonne warf das Haus einen Schatten auf den Hof. Mason war müde, sein Gesicht von seiner mitternächtlichen Wanderung zerkratzt. Er hatte schlecht geschlafen. Immer wieder hatten ihn fiebrige Bilder von Anna, seiner Mutter, Ephram Korban, Lilith und Dutzender anderer Personen heimgesucht, deren Gesichter sich in Rauch auflösten. Er zitterte, während er hinter das Herrenhaus lief und dem ausgetretenen Pfad folgte, der sich zwischen zwei Außengebäuden entlangschlängelte. Er stieg eine Reihe von kreosotbeschichteten Eisenbahnschwellen hinauf, die terrassenförmig in die Erde eingelassen waren und als Stufen dienten, die hinauf in den Wald führten.
Die Tür in dem kleineren Gebäude stand offen. Aus dem Dunkeln tauchte ein alter Mann in Latzhose auf. Mason winkte ihm zur Begrüßung. Der Mann rieb die Hände, sein Atem bildete einen feinen Nebel.
»Brrr«, machte er und verzog sein faltiges Gesicht. »Hier drinnen ist es so kalt wie im Herzen einer Frau.«
»Wie bitte?«, fragte Mason. Er war davon ausgegangen, dass das Gebäude ein Werkzeugschuppen war. Wie sein größeres Gegenstück bestand es aus groben Holzstämmen, die mit gelblich rotem Zement verputzt waren. Aus der Tür drang der Geruch von Moder und Zedernholz.
»Tiefkühlung«, sagte der Mann. Als sich sein Mund öffnete, um das »I« auszusprechen, sah Mason, dass sich der Großteil seiner Zähne schon lange verabschiedet hatte. Seine Latzhose schien ihn beinahe zu verschlingen, sein Rücken hatte sich durch die jahrelange körperliche Arbeit zu einem Buckel verformt. Der Mann warf seinen Kopf zurück in Richtung Tür und ging in die Hütte. »Schauen Sie mal.«
Mason folgte ihm. Kalte Luft strich über sein Gesicht. In der Mitte des dreckigen Fußbodens war ein Erdhügel aufgetürmt. Der alte Mann bückte sich und fuhr mit den Händen durch die körnige Erde, wodurch glänzende silberfarbene Streifen sichtbar wurden.
»Eis«, sagte er. »Wir vergraben es unter Sägespänen, damit es sich den Sommer über hält. Sie hätten sicherlich nicht gedacht, dass es so lange gefroren bleibt, nicht wahr?«
»Ich habe mich schon gefragt, wie Sie Ihr Essen ohne Strom kühlen«, antwortete Mason. »Was ist mit den Vorschriften für Lebensmittelsicherheit, was sagt die Gesundheitsbehörde dazu?«
»Es gibt Regeln, die in der Welt da draußen gelten, und es gibt die Regeln von Korban Manor. Das sind zwei grundverschiedene Dinge.«
Er zeigte durch die Tür auf eine Erhebung in westlicher Richtung, die von Tulpenbäumen bedeckt war. Durch die Wiese zogen sich zwei Fuhrwerkstraßen, die sich wie rote Schlangen den Hügel hinauf wanden. »Dort drüben gibt es einen kleinen Teich«, erzählte er. »Zwischen zwei Felsen entspringt eine kleine Quelle. Der Teich ist abgezäunt, um die Tiere fernzuhalten, damit er sauber bleibt. Nach dem dritten oder vierten Frost im Januar, wenn das Wasser gut und hart ist, gehen wir da hoch und schlagen große Blöcke heraus.«
»Klingt nach einer Menge Arbeit. Soviel ich weiß, sind auf dem Grundstück keine Schwermaschinen erlaubt.«
»Oh, wir haben Maschinen. Ein Fuhrwerk ist eine Maschine. Genau wie ein Pferd, auf seine Art und Weise. Und natürlich haben wir unsere Hände.«
Mason trat hinaus in die Sonne und der Mann schloss die Tür hinter ihm. Mit seiner knorrigen Hand kramte er in der Vordertasche seiner Latzhose herum, als ob er nach einer
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