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Die Tunnel der Seele

Die Tunnel der Seele

Titel: Die Tunnel der Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Scott Nicholson
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Fuhrwerkstraße ihren Weg zwischen die Bäume hinein in den Wald bahnte. Sie schob die Scheunentore zu und schaute hinauf zu dem Hufeisen.
    Die Zinken zeigten wieder nach unten.
    Tote Dinge kommen hinein.
    Sie blickte hinüber zum Wald.
    Am Rande des im Schatten liegenden Unterholzes, zwischen den Lorbeersträuchern, den Robinien und den Dornensträuchern, stand die Frau in Weiß und streckte herausfordernd ihren Blumenstrauß aus. Der Geist starrte Anna an, als würde er in einen Spiegel sehen, wandte sich dann ab und verschwand zwischen den Bäumen.
    »Na gut, ganz wie du willst«, sagte Anna. »Spielen wir verstecken.«
    Während sie den Wald betrat, fragte sie sich, wie man es jemals schaffen könnte, seinen eigenen Geist einzuholen. Und warum er sich überhaupt vor einem verstecken sollte. Mit einer Sache hatte Ransom recht: Eine Frau mit Geheimnissen verhieß in der Regel nichts Gutes.

30. KAPITEL
    D ie Nacht brach herein, glitt wie warmes Öl über die Hügel, ergoss sich in die Täler, legte sich wie ein Schleier an die grauen Hänge der Appalachen. Die Nacht verwandelte sich in einen blutgetränkten Ozean, der mit dem rabenschwarzen Himmel verschmolz. Die Nacht formte einen gierigen Mund, der die vorherige Nacht, nein, sogar alle vorhergehenden Nächte verschlang. Der auch alle kommenden Nächte verschlingen würde. Die Nacht—
    Aufgeregt hämmerte Spence weiter auf die aalglatten Tasten ein, schmetterte die Worte über das Papier. Er war nicht mehr Herr seiner selbst, wurde von einer fremden Obrigkeit getrieben. Die Welt um ihn herum löste sich auf, das Zimmer verschwamm, der Rauch der Laterne verflüchtigte sich, der schweißige Geruch von Bridget verflog. Es gab nur noch ihn und die halbleere Seite. Sein ganz persönliches Schlachtfeld. Die Nacht da draußen hinter dem Fenster existierte für ihn nicht mehr, ihn interessierte nur noch die Nacht, die er mit seinen Worten zum Leben erweckte. Die Nacht, die in seinem Herzen wie ein brodelnder Vulkan loderte. Die Nacht, die wie heiße Lava durch seine Venen schoss, sein Blut in Wallung brachte und sich explosionsartig in seinem Körper entlud. Die Nacht, die wie eine finstere Macht von ihm Besitz ergriff.
    Er war so vertieft, dass er kaum merkte, wie ihm Geifer aus den Mundwinkeln rann, seine glühenden Wangen hinab strömte und auf sein Baumwollhemd tropfte. Über seine Lippen huschte ein Grinsen, denn sein Speichel entsprang einer anderen Sphäre, war ein Produkt aus der realen Welt. Doch verglichen mit dem magischen Kosmos, den er mit seinen Tastenschlägen erschuf, war die Wirklichkeit so leer, so eintönig, so sinnlos. Seine Handgelenke schmerzten, seine Finger waren steif, seine Augen tränten vor Anstrengung, aber diese körperlichen Qualen ertrug er angesichts der beflügelnden Worte, die ihn für all seine Mühen entschädigten.
    Das Papier war sein Meister, der ihn drängte, sein Werk zu vollenden. Ein Meister, der befahl. Ein Meister, der ihn mit einem lauten Weckruf aufrüttelte. Ein Meister, der seine Weisungen herausposaunte. Der ihn zu einem Gott erkor, wenn auch zu einem Gott von niedrigerem Rang.
    Denn über Spence thronte ein noch viel größerer Gott, herrschte der eine, wahre Gott. Das WORT! Er diente dem WORT! Das WORT war seine Bestimmung! Das WORT war sein Herr, der gibt und nimmt. Das WORT gab ihm seine einzige Silbe, damit Spence nicht zugrunde ging, sondern ihm auf ewig die Gunst der Metaphern hold sein würde. Das WORT offenbarte sich ihm aus dem brennenden Dornbusch, erschien ihm auf der Tontafel, sprach von der allmächtigen Wolke zu ihm. Auf das WORT vertrauen wir!
    Plötzlich spürte er das Klopfen einer Hand auf seiner Schulter, einer Hand, die aus dieser trostlosen Welt greifbarer Materie zu ihm vorzudringen versuchte. Oh ja, das musste die Muse sein. Die Muse, die auch ein Sklave des WORTES war. Die Muse, die aus Asche und Staub das WORT schöpfte. Die Muse, die die verbotene Frucht anbot. Die Muse, die seinen Anstößigkeiten Bedeutung verlieh.
    »Jeff«, säuselte sie und ihre liebreizenden Worte klangen wie Musik in seinen Ohren. Er wollte weinen, aber seine Tränen würden die Schrift auf der glorreichen Seite verwischen. Seiner Seite. Dieser kurze Anflug von Egoismus durchbrach die Magie des Augenblicks und erzürnte den Gott, das WORT.
    Spence hörte auf zu tippen und blickte blinzelnd um sich.
    »Komm ins Bett, Liebling«, tönte die Muse. »Du hast die letzten sechsunddreißig Stunden nicht geschlafen.«
    Ein

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