Die Tunnel der Seele
schieben. Gerade wollte er in die Scheune treten, als er auf die Stelle über dem Scheunentor schaute und nach dem Zaubersäckchen um seinen Hals griff. Er schwenkte es hin und her, während er dabei die Augen geschlossen hielt und rhythmisch etwas vor sich hin flüsterte, das Anna nicht verstehen konnte.
»Ich möge verhext werden, wenn sie es nicht schon wieder geändert haben«, sagte Ransom. Er rollte ein Holzfass an das Tor und stieg mit zitternden Beinen hinauf, um das darüber festgenagelte Hufeisen so herumzudrehen, dass die Zinken nach oben in Richtung Himmel zeigten.
»Bringt es andersherum kein Glück mehr?«, wollte Anna wissen.
»Dieser Talisman ist um einiges älter, als Sie vielleicht denken. Für die meisten bedeutet ein Hufeisen heute Glück, doch Zeichen verwässern und werden schwächer, weil die Leute die Wahrheit vergessen, die hinter ihnen steckt. Mit dem vierblättrigen Kleeblatt ist es genauso.«
»Klar, so ein Kleeblatt hat etwas Magisches an sich. «
» Das war früher mal so. Es verlieh der Person, die es bei sich trug, die Macht, Geister und Hexen zu sehen. Damals, als die Leute noch daran geglaubt haben.«
Anna und Mason schauten sich an. »Wenn die Zinken eines Hufeisens nach unten zeigen, ist das also schlecht, richtig?«
»Es öffnet praktisch die Tür für jede Art von totem Ding, das man sich vorstellen kann. Und ich persönlich bevorzuge es, wenn die Toten tot bleiben.« Wieder sah er Anna traurig an, als wäre er eigentlich weit weg. »Zu schade, dass nicht jeder hier das genauso sieht.«
Mason half Ransom vom Fass herunter. Anna band die Pferde an einem Holzpfeiler fest und folgte den Männern in die Scheune. An einer Längsseite standen mehrere Kutschen. Der Heuwagen befand sich am nächsten zur Tür. Gleich daneben sah Anna zwei Schlitten, einen Einspänner und eine elegante Kutsche mit einer Laterne an jeder Ecke. Alle Wagen waren restauriert und in einem Zustand, bei dem jeder Antiquitätenhändler sofort sein Scheckbuch zücken würde. Der Geruch nach Baumwollsamenöl und Leder kämpfte mit dem Heustaub um die Vorherrschaft in der Scheune. Weiter hinten in der Ecke stand eine große, vom Rost leicht rote Heuraupe. Sie hatte einen Sitz für den Fahrer und vorn eine Kopplung, an der die Zugtiere eingespannt werden konnten. Die riesigen Stahlzinken der Raupe streckten sich wie eine gierige Klaue nach oben.
»Das Gerät sieht ganz schön fies aus«, stellte Mason fest.
»Allerdings«, bestätigte Ransom und löste die Räder des Wagens. »Das scharfe Teil, das aussieht wie eine zu groß geratene Heugabel, ist der Steinschwader. Und man kann den Heuhecksler sehen. Wenn sich die Räder drehen, wird er in Gang gesetzt. Hier oben muss man beim Heumachen noch ganze Arbeit leisten.«
»Ich wette, die Pferde lieben es«, sagte Anna.
»Ja, weil sie genau wissen, dass sie im Winter das Heu in ihrer Raufe vorfinden werden.«
»Werden Sie Heu machen, während wir hier sind?«, fragte sie und dachte daran, wie viel Spaß es machen würde, dabei zu helfen. Harte, körperliche Arbeit konnte für einen deprimierten, sich selbst bemitleidenden Geist wahre Wunder bewirken. »Das Gras auf einigen Weiden wächst langsam ziemlich hoch.«
»Wir mussten die Heuernte für eine Weile unterbrechen, weil die Zeichen im Herzen standen.«
»Im Herzen?«
»Das bedeutet, dass es keine gute Zeit ist, Hafer oder Weizen oder eine andere Feldfrucht zu ernten. In dieser Zeit werden nur tote Dinge geerntet.«
Mason räusperte sich lautstark und spuckte aus. »Bäh, der Heustaub schnürt mir die Kehle zu.« Er sah Anna an und sagte: »Entschuldigung für mein rüdes Benehmen. So machen wir das in Sawyer Creek.«
»Falls Sie es noch nicht bemerkt haben, das hier ist nicht Sawyer Creek«, meinte Ransom. Er wies sie an, sich zum hinteren Teil des Wagens zu begeben, und hob die Deichsel an. »Jetzt müssen Sie Ihre Schultern zum Einsatz bringen.«
Sie manövrierten den Wagen aus dem Tor hinaus unter den Verschlag. Während Anna und Ransom die Pferde vorspannten, sah Mason sich in der Scheune um. Ein paar Minuten später steckte er den Kopf heraus. »Hey, was befindet sich unter der Falltür?«
Ransom striegelte die Mähne der Fuchsstute. »Kartoffeln, Süßkartoffeln, Kohl, Äpfel, Rüben. Ein Rübenkeller für Lebensmittel, die nicht ganz so kalt gelagert werden dürfen.«
»Darf ich einen Blick hineinwerfen?«
Ransom ging hinüber zur Bank und zerrte ein Paar derbe Lederhandschuhe hervor.
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