Die Ueberbuchte
und somit die äußerst anhängliche Frau, endlich verlassen zu können. Gleich darauf wurde sie von der fremden Stimme vom Telefon, die sie unter Tausenden wiedererkennen würde, angesprochen.
Sie begrüßten sich herzlich, als kennten sie sich schon eine halbe Ewigkeit, und nicht erst seit diesem Augenblick.
Mit einem schnellen Blick bemerkte Lena sogleich, dass an dieser Frau, außer der angenehmen Stimme, nichts, aber auch gar nichts an Knut erinnerte. Keiner würde wohl jemals auf den Gedanken kommen, dass diese beiden Geschwister sein könnten.
Die mittelgroße Frau, mit dem kupferbraunen Haar und den lebhaften gelbbraunen Augen, sah Lena offen an. »Sie sind also die Lena – die Vielgerühmte!«
Lena lächelte nachsichtig. »Sie übertreiben, diese Umschreibung steht mir nicht zu – was Sie sehr schnell selbst herausfinden werden.«
Dagmar lachte und verfrachtete Lenas Gepäck in den Kofferraum ihres Wagens. »Bitte, steigen Sie ein, es ist nicht weit bis zu unseren kleinen Häuschen.« Einen Augenblick herrschte Schweigen zwischen den beiden Frauen im bequemen Wagen. Was Lena nur recht sein konnte, da sie sich mit der momentanen Situation ziemlich schwer tat. Denn die Frage, wie sollte sie sich in Bezug auf Knut verhalten, wie mit diesem Thema umgehen, machte sie unsicher, irgendwie unfrei. Sie hatte sich da in etwas eingelassen, was ihr ganz offensichtlich Unbehagen verursachte.
Erst als sie das Gedränge der dichtbevölkerten Touristenmetropole hinter sich gelassen hatten, wandte sich Dagmar Lena wieder zu. »Ich freue mich riesig, dass Sie gekommen sind, denn ich muss zugeben, ich war meiner Sache gar nicht so sehr sicher.«
»Nicht …?«, tat Lena erstaunt. »Davon war aber rein gar nichts zu bemerken. Im Gegenteil, Sie kamen mir unglaublich überzeugt und sicher vor.«
»Nun, ich hatte im Gegensatz zu Ihnen, den Vorteil, dass ich mir meine Worte vorher genau überlegen konnte«, gestand sie mit sanften Lächeln.
Ebenfalls lächelnd, erwiderte Lena: »Das stimmt allerdings.«
Dagmar bog von der Straße ab und fuhr einen schmalen, von reichlichen Dünendisteln und staubigen Strandhafer eingefassten, schmalen Weg entlang.
»Schön ist es hier, kein Wunder, dass Knut »seine Küste« wie er sie immer liebevoll nannte, über alles liebt«, sagte Lena. Dabei spürte sie ganz deutlich, wie Dagmar interessiert aufhorchte, als der Name ihres Bruders zum ersten Mal fiel.
Mit gespannten Augen fragte sie daher: »Hat er das tatsächlich gesagt?«
»Ja, hat er. Und wie recht er damit hat, wird mir angesichts dieser ländlichen Idylle erst richtig bewusst.«
»Komisch, er hat uns gegenüber von dieser angeblichen Heimatliebe nie etwas verlauten lassen. Im Gegenteil, er hat uns im guten Glauben gelassen, dass für ihn nur die große weite Welt in Frage käme.« Sie hielt plötzlich inne und sagte nach einiger Überlegung wie zu sich selbst: »Jetzt anscheinend nicht mehr …«
Ein mit grauen Schindeln bedecktes Dach wurde hinter zwei großen Eichenbäumen sichtbar. Ein Dach, das in seiner abgerundeten Form, gedrungen, ja behäbig wirkte – so wie die Kappe eines Pilzes.
»Das da ist unser Haus, zwar nicht besonders groß, aber ich denke, es wird Ihnen bei uns gefallen.«
»Oh, es gefällt mir jetzt bereits«, entgegnete Lena impulsiv.
Sie stiegen aus, und Lena stand da und wusste nicht was sie zuerst bewundern sollte; war es der ungehinderte Ausblick auf die endlose, weite See oder das verspielt wirkende Fachwerkhaus aus roten Klinkern, mit seinen mehrfach unterteilten Fenstern, oder das verhältnismäßig einfache Drumherum, von sanft hügeligen, mit Strandhafer bewachsenen Dünen? Sie drehte sich zu Dagmar um und sagte: »Stellen Sie sich mal vor, ich habe das Wattenmeer heute zum ersten Mal gesehen. Früher, damals gingen die Kinder noch zur Schule, hatten wir ein einziges Mal das große Glück, einen Ferienplatz an der Ostsee zu bekommen. Ein wirklicher Glücksfall zu dieser Zeit! Die Kinder waren außer sich vor Freude – trotz überwiegend schlechten Wetter.« Sie seufzte. »Gott, ist das aber auch lang her.«
»Sie sind geschieden, nicht wahr?«
»Ja.« Und plötzlich lachte sie hell auf. »Und das im besten Einvernehmen!«
Damit wusste Dagmar anscheinend nicht so recht was anzufangen, denn sie zog vor nicht darauf zu antworten.
Sie gingen ins Haus und Dagmar zeigte nach oben. »Am besten ich zeige Ihnen erst einmal Ihr Zimmer, damit Sie sich etwas frisch machen können; während ich
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