Die Ueberbuchte
lief, und irgendwann dann, setzte sie sich nieder, zog die Beine an und legte den Kopf auf die Knie. Sie schloss die Augen und dachte nach. All die zahllosen Bilder, die guten und schönen Erlebnisse mit Knut tauchten vor ihr auf. Sie hörte seine Worte, seine Stimme, die weich und warm um ihre Zuneigung, um ihr Vertrauen warb. O ja, das waren unvergessliche schöne Stunden. – Doch trotz aller Auflehnung, die Wahrheit aber war, er war enttäuscht – sehr enttäuscht. Sie hatte seine Sehnsucht nach trauter Zweisamkeit, ein Leben in enger, beschaulichen Gemeinsamkeit, mit einer solchen Hartnäckigkeit abgelehnt, dass sie sich über die jetzigen Folgen wahrlich nicht zu wundern brauchte – sie hätte damit rechnen müssen. Oder hatte sie im Ernst geglaubt, sie könne ihn mit einem Zusammenleben auf Raten, auf Dauer an sich binden? Sozusagen mit einer Wochenendfreundschaft ohne Gewähr? Gott, wie naiv aber auch! Und doch, es tat weh, sehr weh sogar, denn jetzt erst wurde ihr der unermessliche Verlust seiner Freundschaft wirklich bewusst. Doch sie wusste auch, dass sie nicht anders handeln konnte – alles andere wäre Selbstbetrug gewesen.
Von ihren widersprüchlichen Gedanken, zwischen Anklage, Selbstmitleid und tiefer Verletztheit hin und hergerissen, schlug sie in aufbäumender Hilflosigkeit die Hände vors Gesicht und schluchzte hemmungslos.
Es war, als ob der reichliche Tränenstrom, all ihren Kummer, all ihre Verletztheit, mit sich fortgeschwemmt hätte, so ausgelaugt kam sie sich vor. Sie horchte in sich hinein, aber sie konnte nichts vernehmen – und was sie eben noch für wundersamen Frieden hielt, war nichts anderes als gähnende Leere.
Langsam erhob sie sich, sie sah an sich herab und wunderte sich, dass nichts an ihr verändert war, obwohl sie sich von Grund auf verändert vorkam. Sie setzte Fuß vor Fuß und musste feststellen, dass sie ihr blind gehorchten.
Den Weg zurück, ging sie, wie sie gekommen war. Und wie vorher auch, nahm sie kaum etwas von dem reizenden Spätsommertag wahr, der doch so viel Anlass zur Freude gegeben hätte. Es regte sich nichts in ihr, weder im Guten noch im Schlechten.
Irgendwann dann, näherte sie sich dem Bootsschuppen, den Ernst als Atelier benutzte. Doch sie beachtete nichts und niemanden. Erst als er ihr zurief: »Hallo, Lena, warst du baden?«, da sah sie ihn, wie er sich hinter seiner Staffelei her vorbeugte und zu ihr herübersah. Sie ging auf ihn zu und sah stumm auf die Leinwand, auf der im hellen Licht, die frische Farbe feucht glänzte.
Ernst, der sie aufmerksam von der Seite musterte, fragte behutsam: »Könnte es sein, dass du dich nicht ganz wohlfühlst?«
»Nein, nein, es ist alles in bester Ordnung«, sagte sie mit dem Versuch zu lächeln. Sie zeigte auf das angefangene Bild. »Wunderbar, wie die Farben leben …« Sie ließ sich neben seinem Hocker im Sand nieder und sah ihm stumm zu.
Nach einiger Zeit tauchte er die farbenverschmierten Pinsel in das Glas mit der trüben Farbverdünnung und spachtelte die restlichen Farbkleckse von der handlichen Palette, dann erst wandte er sich ihr gemächlich zu. Er legte die feste Hand auf ihre Schulter und blickte auf ihren gesenkten Kopf hinab. »Lena, was ist mit dir? Du hast doch etwas?«
»Ach, nicht der Rede wert«, winkte sie brüsk ab.
»Na schön, du musst es selbst am besten wissen.« Und begann seine Staffelei aufzuräumen, ohne noch weiter von ihr Notiz zu nehmen.
Lena saß indes regungslos da. Doch auf einmal sagte sie mit in die Ferne gerichteten Blick: »Wie findest du eigentlich Ruth?«
»Ruth …?«, tat er erstaunt und musterte sie genauer. »Aha, Dagmar hat dir also erzählt.«
Lena nickte.
Er ließ sich neben ihr nieder. »Ich weiß zwar nicht was du jetzt hören möchtest, aber ich denke mir mal so, du willst wissen welchen Eindruck sie auf mich gemacht hat.« Er schwieg einen Moment und ließ den trockenen Sand durch seine Hände rieseln. »Um ehrlich zu sein, einen recht guten – soweit ich das in so kurzer Zeit beurteilen kann.« Unwillkürlich stutzte er und fragte: »Sag mal, könnte es sein, dass du eifersüchtig bist?«
»Und wenn, wäre das denn so abwegig?«
»Ja, eigentlich schon – du doch nicht.«
Sie lachte kurz auf und erhob sich rasch. »Du meine Güte, Ernst, du hast vielleicht eine Ahnung!« Sie blieb unmittelbar vor ihm stehen und sah ihn mit einem traurigen Lächeln an. »So kannst du dir wohl auch nicht vorstellen, dass Ruth und Knut sich möglicherweise schon
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