Die Ueberbuchte
hätte sein können?«
»Na ja, so im Nachhinein stellte sich doch schon so manches heraus, was bei uns schon wesentlich einfacher und daher auch besser war. Wie Sie ja wissen, hat bei uns der Staat alles geregelt. Der Mensch galt daher als eine Einheitsware, die je nach vorgeschriebenen Stufenplan gelenkt und verwaltet wurde. Also ein Einheitsprozess, der vom ungeborenen Kind, bis hin zum letzten Atemzug, sich wie von selbst vollzog. Vorschriften und Gesetze waren relativ leicht überschaubar, da es stets nur ein Entweder-Oder gab. Selbst der Denkprozess der Menschen wurde überwiegend vom Staat gelenkt, und der ließ garantiert keine Gegenargumentation zu.«
Knut lachte.
»Lachen Sie nicht!«, ermahnte sie ihn mit drohendem Finger. »Denn alles geregelt zu wissen, sich keinerlei Gedanken über die Zukunft und des weiteren Lebens machen zu müssen, hat mit Sicherheit etwas für sich – auch wenn es einem lediglich nur einschläfert, willenlos und träge macht; blieb dennoch so etwas wie eine Lebensgarantie übrig. Aber eben das genau, verlief letztendlich gegen unsere eigene Überzeugung, unseren Willen oder gar gegen uns selbst. Aber leider bemerkte das damals längst keiner mehr, da eine Alternative ohnehin nicht vorgesehen war.
»Ja, aber …«
Lena hob entsetzt beide Arme. »Nein, bitte nichts mehr über dieses Thema! Es ist wirklich nicht wert genug, um im Urlaub erörtert zu werden.«
»Nicht …?«
»Nein. Absolut nicht.«
Er blinzelte sie verschmitzt lächelnd aus den Augenwinkeln an. »Ich verstehe eh nichts von dieser Materie. Und wenn ich ehrlich sein soll; war mir das alles auch so was von egal, dass es mir neuerdings direkt unheimlich anmutet – zumal seit ich Sie kennengelernt habe.«
»O je, das lässt ja tief blicken – schlechtes Gewissen, wie?«, murrte Lena.
»Kann schon sein. Aber wie wäre es, wenn ich es wieder gutzumachen versuche; zum Beispiel mit einem gemeinsamen Streifzug auf der Insel?«
»Hm, nicht schlecht – das würde mich freuen«, erwiderte sie mit offener Herzlichkeit, so dass seine hellen Augen noch eine Spur heller leuchteten.
Die nächste halbe Stunde aber, musste sich Knut dem chaotisch aufkommenden Verkehr widmen, und Lena beobachtete indes mit größtem Interesse was um sie her vor sich ging.
Denn Neapels Hafenviertel, dem sie sich nun näherten, wirkte auf einer gewissen Weise anziehend und abstoßend zugleich. Wenngleich der Baustil, die kolossale Enge und das scheinbare Chaos ringsumher, einen gewissen südländischen Flair verbreitete, spiegelte sich dennoch in den meisten Gesichtern der Mitreisenden eine sichtbare Enttäuschung wider. So war zu hören, wie eine Frau zu ihren Mann sagte: »Sieh nur, fast wie bei uns!« Damit hatte sie mit Sicherheit die abgeblätterten und maroden Häuserfassaden gemeint. »Und trotzdem wirkt alles heller und farbenfroher wie bei uns«, erwiderte daraufhin der angesprochene Mann. »Na ja, dafür ist es auch Italien«, erwiderte die Frau mit einigen Nachdruck.
Auf dem Fährschiff angekommen, versuchte natürlich jeder einen Sitzplatz mit bester Aussicht zu ergattern.
Noch während die meisten Leute mit ihren Kameras vor Augen, die Hafenansicht möglichst aus einer exzellenten Perspektive, ja mit größten Bravour und erfahrenen Kennerblick auf das verewigende Zelluloid zu bannen versuchten, legte das Schiff fast unbemerkt vom Hafen ab. Schwerfällig tuckernd suchte sich nun das massige Fährschiff den sichersten Weg aus Neapels halbrunder Bucht heraus, so dass das in grelles Licht getauchte Hafenpanorama, zunehmend an Schärfe einbüßte. Es wirkte dadurch noch gedrängter, noch verwirrender, in all seiner bunten Vielfalt. Die schluchtenartigen Straßen zwischen den mannigfaltig angeordneten Häuserzeilen, ähnelten mitunter einem tiefen finsteren Spalt, und selbst die im Wind flatternde bunte Wäsche auf den sich übereinander türmenden Balkons, verwandelten sich mehr und mehr in undefinierbare Farbtupfer.
Der Wind nahm zu, je weiter sie sich vom Land entfernten, und wenn bisher das Wasser nur leicht gekräuselt, eine fast glatte Fläche abgab, so begannen nun die flachen Wellen, vereinzelt mit schmalen Schaumkämmen verziert, dem Ganzen ein weitaus bewegteres Aussehen zu verschaffen.
Weiter draußen, aber immer noch im Golf von Neapel, tauchten allmählich rechterhand vorgelagerte, größere und kleinere Inseln auf, so dass die Leute darüber, um welche Inseln es sich dabei handelte, die unterschiedlichsten,
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