Die Ueberbuchte
konnte; wie hätte sie wieder vor lauter Entzückung geschwärmt.
Kaum hatte er den großen Busparkplatz erreicht, als auch schon eine junge Stimme ihm fragend zurief: »Bist du der Knut aus Deutschland?«
Er drehte sich um, und sah wie eine bildhübsche junge Frau, mit wehenden schwarzen Haar, dunklen Augen und einer Reihe blütenweißer Zähne, die beim Lachen sichtbar wurden, auf ihn zugeschlendert kam.
Sie streckte ihm gutgelaunt die Hand entgegen. »Ich bin die Carmen, Reiseleiterin für den heutigen Tag!«, sagte sie in einem etwas ironischen, geschäftsmäßigen Ton, der nicht so recht zu ihrer auffallenden Unbekümmertheit passen wollte. Was Knut auch sogleich mit einem gutmütigen Grinsen quittierte.
Noch während sie zurück zum Hotel fuhren, erklärte Carmen mit erstaunlich sachlichen Worten, wie der heutige Tag laut Programm abzulaufen habe.
Knut nickte nur, denn ihm konnte es ja nur recht sein, wenn er sich nicht um den möglichst reibungslosen Ablauf des Ausfluges zu kümmern brauchte.
Und wie er schon nach kurzer Zeit mit größter Genugtuung feststellen konnte, beherrschte sie ihre Aufgabe ausgezeichnet. Er konnte somit in aller Ruhe seinen eigenen Gedanken nachhängen. Wobei er allerdings mit Befremden feststellen musste, dass er in den letzten Tagen noch nicht einen Gedanken an Zuhause verschwendet hatte. Er hatte weder das Versprechen seiner Schwester gegenüber, sich umgehend bei Ankunft im Hotel zu melden eingelöst, noch sich nach dem gesundheitlichen Befinden seiner Mutter erkundigt – er hatte schlichtweg alles vergessen. Ihn hatten die Tage mit Lena zusammen derart ausgefüllt, dass alles um ihn herum in weite Ferne gerückt war. Und wenn er sich gar noch an seine seltsamen Vorstellung über die Ostdeutschen erinnerte, dann verstand er plötzlich die Welt nicht mehr – wie war das nur möglich?
Zumindest nahm er sich ganz fest vor, noch an diesen Abend, vom Hotel aus zu Hause anzurufen.
Als Lena sich an diesen Morgen zum Speisesaal begab, hatte sich der größte Teil der Gäste schon nach draußen begeben, wo am Ende des Weges der Bus auf sie wartete – den sie aber von hier aus nicht sehen konnte, da der Weg hinter dem Gebäude verschwand. Lena wartete noch, bis auch der letzte Gast ihren Augen entschwunden war, dann erst kehrte sie ins Hotel zurück. Sie blickte sich wie verloren nach allen Seiten um, aber nur an zwei Tischen saßen Gäste, die aber nicht zur Reisegruppe gehörten und auch noch nie mit ihnen ins Gespräch gekommen war.
Auch jetzt, schien keiner der Anwesenden Notiz von ihr zu nehmen, was ihr ausgesprochen recht war, denn sie wollte diesen Tag in intensiver Ruhe verbringen. Möglichst nicht viel laufen, im Schatten die Beine hochlegen, etwas lesen oder am besten gar nichts tun.
Sie näherte sich gemächlich ihrem Tisch in der vordersten Reihe, reckte plötzlich den Kopf leicht vor, da sie den Zettel auf ihren Platz bemerkt hatte. War der etwa von Knut? schoss es ihr durch den Kopf, und so beschleunigte sie unwillkürlich den Schritt. Hastig griff sie danach und las: »Einen herzlichen guten Morgen, liebe Lena! Bitte denk an dein Versprechen brav zu sein und ruh dich wirklich aus! Alles Schöne und Gute! Und vielleicht denkst du mal über deine sogenannten Restgefühle nach – mich würde es freuen. Knut.«
Lena las einmal und sie las zweimal, sie war gerührt und gleichzeitig beschämt, und fühlte wie ihr warm ums Herz wurde. Sie saß da, hielt den Zettel in der Hand und träumte vor sich hin … Längst vergessene Bilder wurden lebendig, begannen sie zu bestürmen; Bilder voller Zärtlichkeit und totaler Vertrauensseligkeit; nur das Gute, das Schöne verheißend … O ja, eine Gefühlswelt, eine Ehe, eine Familie, sie hatte daran geglaubt – und was wurde daraus, nichts weiter als eine Pflichtübung. Sie sah auf den Zettel in ihrer Hand, sah die steilen, regelmäßigen Buchstaben, die sie noch nie vorher gesehen hatte und sie begannen zu verschwimmen …
Sie wischte über die Augen, schluckte mehrmals und lächelte. Den Zettel steckte sie in ihre Tasche und wandte sich dem Frühstück zu. Sie drehte sich vorsichtig um. Sie war allein. Sie hatte das Weggehen der anderen Gäste nicht bemerkt. Es war still geworden, nur aus der angrenzenden Küche war leises Geschirrklirren zu hören. Sie stand auf und ging hinaus auf die Terrasse, aber auch die war völlig verwaist. Außerdem ließen der wolkenlose Himmel und die schon am Morgen aufgeheizte Luft, einen
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