Die Ueberbuchte
Gewitters nach Osten hin, war an seinen dunstigen, dunklen Streifen am Horizont noch gut zu erkennen. Ein größeres weißes Schiff, weit draußen auf dem Meer, hob sich hingegen erstaunlich klar vom dunklen Horizont ab.
Lena drehte sich um, da das Hupen des Busses, der kurz vor der Haltestelle eine steile Kurve passieren musste, ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Gleich würde er unmittelbar vor ihr anhalten. Da sah sie Knut auch schon an der Tür stehen.
Jetzt bemerkte auch er sie. Nur wenige Schritte noch, dann schloss er sie herzlich in die Arme und sagte hocherfreut: »Wie lieb von dir! Einfach großartig, mich abzuholen!«
Seine Augen strahlten sie so voller Freude an, dass sie verschämt wegsehen musste. Zumal die plötzliche Nähe seines Körpers, die in abwechselnder Reihenfolge Kälte und Hitze über sie ergoss; die banal gesagt, süchtig machen konnte. Denn der Gedanke an Fürsorge, Zärtlichkeit und schöner Gemeinsamkeit, konnte mit Sicherheit schwach machen. Eigentlich hatte sie sich eingebildet, diese sogenannten zwischenmenschlichen Beziehungen längst überwunden zu haben. Der Bedarf war gedeckt. Sie kam sehr gut allein zurecht. Und nun spürte sie ganz deutlich, wie diese zärtliche Berührung sie wärmte, ja erregte, und die überwunden geglaubten Sehnsüchte zu erwachen begannen.
Knut, der noch immer mit seiner Freude beschäftigt war, schien gar nicht bemerkt zu haben, dass Lena sich sanft, aber bestimmt, seinem Arm entzogen hatte; so sah er sie plötzlich prüfend an und sagte mit bekümmerter Miene: »Mein Gott, Lena, du bist ja über und über verbrannt!«
»Ich bin am Strand eingeschlafen, das ist alles«, versuchte sie seine Besorgnis zu zerstreuen.
»Siehst du, das kommt davon, wenn niemand auf dich aufpasst.«
»Keine Angst, so oft kann das gar nicht passieren, denn das wäre viel zu kostspielig. Aber bevor du dich in weitere Vorwürfe ergehst, erzähle mir lieber wie die Fahrt verlaufen ist.«
»Alles Bestens, was denn sonst«, erwiderte er trocken, und fragte mit listigen Blick: »Oder willst du etwa spezielle Einzelheiten wissen, zum Beispiel über die Zusammenarbeit mit der bildhübschen Reiseleiterin? Noch dazu einer durch und durch temperamentvollen Italienerin.«
Lena verzog verächtlich den Mund. »Das mein Lieber, steht dir nun überhaupt nicht zu Gesicht!«
»Schade«, tat er gekränkt.
»Nun mal im Ernst, wie war es wirklich?«
»Von der schrecklichen Schwüle abgesehen, gewiss äußerst interessant; besonders Pompeji. Aber das Gesehene erklären zu wollen, wäre absolut sinnlos, das muss man schon mit eigenen Augen gesehen haben. Obwohl ich es sehr schade finde, dass du nicht dabei sein konntest, muss ich dir zugutehalten, dass deine Entscheidung dennoch richtig gewesen ist, da über zwei Stunden in sengender Hitze herumlaufen, deinen Füßen wahrscheinlich sehr schlecht bekommen wäre. Oder, zeig mal her«, musterte er aufmerksam ihre Füße, »besonders erholt sehen die aber auch nicht gerade aus.«
Lena lachte. »Nun lass endlich meine albernen Füße in Ruhe! Lass uns lieber etwas schneller gehen, denn ich habe mordsmäßigen Hunger!«
Er nickte. »Ja, jetzt wo du es sagst, spüre ich ihn auch.«
Also beeilten sie sich. Und gerade noch rechtzeitig, die Spargelsuppe wurde eben serviert, nahmen sie ihre Plätze ein. Dabei sahen sie sich überrascht an, denn die beiden freien Plätze an ihrem Tisch waren nun besetzt. Wie sich sehr schnell herausstellte, ein Ehepaar mittleren Alters aus Stuttgart. Sie, eine gutaussehende, äußerst gepflegt wirkende, strohblonde Frau, machte auf den ersten Blick einen recht sympathischen Eindruck. Er, ein etwas dunklerer Typ, groß und schlank, mit einem Wort, ebenfalls gut aussehend, hatte etwas steifes, geschäftsmäßiges an sich – was immer man darunter verstehen mochte.
Doch schon nach kurzer Zeit mussten sie erkennen, dass sich diese beiden prächtig zu unterhalten verstanden. Zuerst zwar noch etwas distanziert, später aber schon wesentlich freier. Der Mann, der eine fast stoische Gelassenheit ausstrahlte, tat nicht nur gebildet, er war gebildet. Es war eine Freude ihm zuzuhören. Am meisten überraschte Lena die außerordentlich präzisen Äußerungen über die derzeitigen Verhältnisse in den neuen Bundesländern.
»Wissen Sie«, sagte er, »damals, gleich nach der Wende, hatte sich ein ferner Verwandter von mir, für zwei Jahre Aufbauhilfe im Osten beworben, da habe ich ihn schlichtweg für verrückt gehalten, ja
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