Die Ueberbuchte
stilleren Nebenstraße, sich noch einmal vergewissernd zu erkundigen: »Was nun, wenn wider erwarten morgen doch noch ein Platz frei sein sollte?«
Sie überlegte einen Augenblick, schüttelte dann aber entschieden den Kopf. »Nein, ich bleibe hier – schon meinen Füßen zuliebe.«
Ungläubig musterte er sie von oben bis unten. »Hoffentlich erinnerst du dich morgen noch daran, wenn die interessanten Ausflugsziele locken?«
»Gott, wie misstrauisch!«, verpasste sie ihm einen sanften Stoß. Lachte plötzlich übermütig auf und hakte sich bei ihm unter. So spürte sie mit ungeheurer Genugtuung, wie unruhig ihm diese Nähe machte. Das wiederum stachelte ihren Übermut noch mehr an; oder war es am Ende doch mehr? Aber da war es bereits geschehen, sie hatte längst ihren Körper in zarter Unbekümmertheit seinen Schritten angepasst, und spürte mit entwaffnender Genugtuung, wie jeder einzelne Nerv in ihm sich anspannte. Plötzlich aber wurde ihr mit aller Deutlichkeit bewusst, dass möglicherweise gar nicht der vermeintliche Mutwille sie dazu getrieben haben könnte, sondern die eigene, wieder erwachende Lust. Diese Erkenntnis allein reichte aus, um wie eine kalte Dusche zu wirken. Sie zog fast heftig ihren Arm aus den seinen zurück, um gebührenden Abstand zu gewinnen.
Der schmale wissende Blick aus seinen hellen Augen, traf sie daher wie ein Stich mitten ins Herz – er beschämte sie. Jawohl, sie fühlte sich ertappt, irgendwie durchschaut – oder bildete sie sich das etwa nur ein, da ihre hohen moralischen Begriffe längst nicht mehr zeitgemäß waren?
»Du bist auf einmal so still?«, hörte sie ihn da sanft fragen.
Der sanfte Tonfall war es dann auch, der ihr vor innerer Beklemmung fast die Tränen in die Augen getrieben hätte, obwohl sie diese übertriebene Empfindlichkeit von jeher am meisten ärgerte – weil sie unfrei machte.
Knut fasste sie fest am Arm an und zwang sie so ihn anzusehen. »Nun, was ist? Was bedrückt dich?«
»Nichts, überhaupt nichts – das ist es ja eben, was mir derart zu schaffen macht. Ich kann weder abschalten, noch meine übertriebene Empfindlichkeit unter Kontrolle bekommen – Stimmungen, immer nur Stimmungen! Nicht nur, dass diese gesamte Bandbreite von Gefühlen und Eindrücken mein Leben auf unnötigster Weise erschweren, beharren sie auch noch auf ungeteilte Aufmerksamkeit!«, klagte sie heftig.
»Aber, aber, was soll denn das? Ich glaube vielmehr, dass nur der, der sich ständig selbst prüft, auch den anderen besser verstehen kann. Mit anderen Worten; da wo nichts ist, kann auch nichts herkommen.«
»Das hinkt aber gewaltig«, unterbrach sie ihn.
»Überhaupt nicht. Denn oberflächliche Gefühle und Eindrücke bleiben was sie sind, sie können niemals Tiefe erzeugen.«
Lena warf ihm aus den Augenwinkeln einen erstaunten Blick zu, sagte aber nichts. Wohl vor allem deshalb nicht, da ihnen Gäste aus dem Hotel entgegenkamen. Und wie üblich bei solchen Zusammentreffen, die eine gewisse höfliche Manier voraussetzte, wurde eine Weile über dies und jenes gesprochen. Man hatte natürlich längst mitbekommen, und wahrscheinlich mehr noch als Knut und Lena es selbst wissen konnten, dass diese Begegnung inzwischen als weit mehr betrachtet wurde. Das Gegenteil davon, hätte sie mit ziemlicher Sicherheit, äußerst irritiert, ja wahrscheinlich für ganz unmöglich gefunden.
Zeitiger als sonst, musste Knut am nächsten Morgen aufstehen. Er hatte sich schließlich um den Bus zu kümmern, der auf dem zentralen Parkplatz abgestellt war. Außerdem würde er dort die ihm zugeteilte Reiseleiterin vorfinden. Alles in allem ein umfangreiches Programm, wenn er es recht bedachte.
Was ihn aber zu dieser frühen Stunde, noch dazu an einem so wunderschönen Morgen, die heitere Stimmung erheblich dämpfte, war die Gewissheit, Lena nicht einmal beim Frühstück Gesellschaft leisten zu können.
Er überlegte, und noch während er seinen Espresso trank, beschrieb er einen kleinen Notizzettel, den er nun auf ihren Platz legte. Anscheinend mit dem Ergebnis seines Einfalls recht zufrieden, verließ er wesentlich frohgelaunter, dabei eine bekannte Melodie pfeifend, den Speisesaal.
Als er wenig später den Linienbus bestieg, fiel ihm sofort die angenehme Leere auf. Endlich einmal einen freien Sitzplatz. Was hieß da einer, mehrere sogar, er konnte sich ihn aussuchen! Eine direkt angenehme Fahrt, so an den sonnenüberfluteten Ufer entlangzufahren. Nur schade, dass Lena nicht dabei sein
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