Die Ueberbuchte
Unmenge Häuser gebaut. Da fragt sich natürlich unsereiner schon, wie können die sich das in so kurzer Zeit überhaupt leisten; wozu wir Jahrzehnte gebraucht haben? Und diese Autos, groß bis größer! Mal ehrlich, da bleibt einem direkt die Spucke weg!«
»Uns auch …«, erwiderte Lena.
Der Mann blickte fragend auf. »Wie, uns auch …?«
»Nun, wie ich es gesagt habe – uns auch! Die meisten von uns wundern sich genau wie Sie darüber. Schon aus dem einen Grund, weil das nötige Kapital in den meisten Fällen gar nicht vorhanden sein kann – wenigstens was die Bausummen betrifft.«
»Nicht …? Und wieso, oder besser gesagt, von was bauen die dann?«
Lena lachte, ein ernstes Lachen. »Mit Krediten natürlich, was denn sonst!« Sie wehrte entsetzt mit beiden Händen ab, als er zu weiteren Fragen ansetzte. »Um Himmels willen, bitte fragen Sie mich jetzt nicht auch noch, wie das möglich ist! Ich weiß es nämlich nicht, und will es auch gar nicht wissen! Denn, entweder wir sind zu blöd dazu, weil wir es nicht auch nachmachen, oder aber die, die sich eine derartige Finanzierung aufschwatzen lassen – anders lässt sich das wirklich nicht erklären.«
»Sehen Sie, dann haben wir also doch recht mit unserer Behauptung, dass die Ostdeutschen noch eine ganze Menge von uns lernen müssen, so naiv und rückschrittlich wie die sind. Was wissen diese Leute schon von den durch und durch gerissenen Geschäftspraktiken; von denen sogar wir oftmals nicht verschont bleiben. Und gar noch diese völlig ahnungslosen Menschen, die garantiert in jede Falle tappen.«
Obwohl eine solche unverblümte Auffassung, normalerweise Lenas Blut in ziemliche Aufwallung geraten ließ, musste sie sich diesmal geschlagen geben, da die entwaffnende schlichte Art des Mannes, weder etwas Beleidigendes noch Großtuerisches an sich hatte. Er sprach aus, so wie er es eben verstand.
Nachdem Lena nichts erwiderte, blickte er sie mit seinen kleinen runden Augen und den buschigen Augenbrauen darüber, forschend von der Seite an; und sagte mit einer so unglaublich angenehmen Stimme, wie wohl kaum einer bei ihm vermutet hätte: »Ich habe natürlich nicht Sie damit meinen wollen. Denn es ist mir schon klar, dass es immer solche und solche Menschen geben wird. Aber im Großen und Ganzen müssen Sie mir doch recht geben, dass die Leute im Osten noch unheimlich weit hinter uns herhinken. Und deshalb kann ich auch nicht verstehen, dass viele, sehr viele sogar, plötzlich jeden gesunden Maßstab verlieren, nur um auf Biegen oder Brechen mithalten zu können.«
»Jawohl, genauso ist es! Das auf jeden Fall mithalten zu müssen! Nur, wir kennen hierfür wenigsten die wahre Ursache, Sie aber nicht. Denn was Sie im Augenblick zu sehen meinen, sind lediglich einige Äußerlichkeiten; sprich Auto, Reisen und Eigenheime … Aber was Sie nicht wissen können, dass das nun einmal genau die Dinge sind, die bei uns absolut nicht zu haben waren; höchstens über besondere Privilegien. Und genau diese wenigen Dinge sind es auch heute wieder, die für jedermann als Aushängeschild für bescheidenen Wohlstand dienen. Können Sie es deshalb diesen Menschen, die jahrzehntelang nur aus einer eisernen Distanz heraus zusehen durften, verargen, endlich auch daran teilnehmen zu wollen?«
Der Mann grinste ironisch. »Aber doch nicht auf Deibel komm raus!«
»Tja, im Nachhinein lässt sich’s immer leicht kritisieren, aber wer konnte denn im Voraus ahnen, was sich jetzt bereits sehr deutlich offenbart. Keiner konnte wissen, wie schnell und wie gut sich die Wirtschaft einmal etablieren würde. Sind wir doch mal ehrlich, ins Geheim haben wir doch alle auf einen schnellen Aufschwung gehofft – auch ihr im Westen! Und sagen Sie jetzt bloß nicht, Sie hätten das alles vorausgesehen!«
»Gute Frau, auch wenn Sie es mir nicht glauben werden, aber zu dieser Erkenntnis zu kommen, dass es mit der völligen Angleichung einmal nicht so schnell gehen würde wie allgemein angenommen, dazu gehörte nun wirklich nicht viel Grips. Außerdem wäre ohne unsere Hilfe sowieso nichts zustande gekommen. Wir haben buchstäblich für euch mitgearbeitet.«
»Und kräftig abgesahnt!«
»Das gehört schließlich zum Geschäft«, lachte er und stieß sich mit einem Ruck von der Treppe ab.
Lena aber hatte genug vom Wasser und dem für sie nutzlos erscheinenden Gerede; sie duschte sich rasch und huschte lautlos durch die Hintertür in ihr Zimmer zurück.
Mit den Worten: »Nanu, so spät
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