Die Ueberbuchte
gar intelligent. Sollte das aber tatsächliche deiner persönlichen Meinung entsprechen, dann muss ich dich ernsthaft bitten, sie in Zukunft möglichst für dich zu behalten.«
Ihrer entschiedenen Heftigkeit war es wohl zu verdanken, was Knut zum versöhnlichen Einlenken zwang. Er versuchte zu lächeln, doch selbst dieses misslang ihm gründlich – es ähnelte mehr einer komischen Grimasse.
Die Lena fast zum Lachen reizte – aber sie wollte nicht. Seine ungehobelten Äußerungen hatten sie zu sehr verärgert, als das sie sich so einfach wegschieben ließen.
»Entschuldige bitte, Lena«, bat er reuig. »Ich weiß auch nicht was es ist, aber irgendetwas stört mich an diesem Mann! Ich brauche nur in seiner Nähe zu sein und schon sträubt sich in mir alles dagegen. Allein schon wie er sich äußert, dieses schleimige, gewollt geistvolle Gefasel – igitt!«
»Weißt du was, Knut, wenn ich eitel genug wäre, würde ich jetzt sagen; du bist ganz einfach eifersüchtig.«
»Quatsch! Das fehlte mir gerade noch!«, ereiferte er sich.
»Nun, dann weiß ich es auch nicht …«
Viel später erst, nachdem sie die Brücke zum Castell überquert hatten und sich über endlose Steinstufen zur ehemaligen Kathedrale und den Friedhof der Klarissinnen hinaufgearbeitet hatten, kehrte angesichts des großartigen Ausblickes, allmählich die verzaubernde Urlaubsstimmung zurück. Denn die geschichtsträchtigen Mauern, nebst Kunstausstellung in der Kirche der »Unbefleckten Jungfrau«, überhäuften sie mit einer wahren Flut an altertümlicher Romantik. Und obwohl sie kaum miteinander redeten, spürten sie dennoch, wie die allesübergreifende, ästhetisch verzwickte Veranschaulichung, sie mehr und mehr zusammenführte. Sie spürten plötzlich wieder sich selbst – und zwar ohne störende Zwischentöne. Sozusagen einer Erkenntnis reicher. Denn nichts sonst war reiner und schöner, als die gelegentliche Selbsterkenntnis.
Das Gesicht dem Meer zugewandt, sagte Knut: »Ich weiß nicht warum und wieso, aber plötzlich steigen Kindheitserinnerungen in mir auf – obwohl vollkommen undeutlich, da die Verbindungen nur vage, eher überhaupt nicht vorhanden – sind sie dennoch vorhanden.«
»Was für Erinnerungen denn?«, wollte Lena wissen.
»Ich weiß nicht recht … Ist es dieser Geruch oder die besondere Nähe des Meeres, die eine jähe Weite vermittelt, so wie ich sie hier noch nirgends vorgefunden habe? Ich weiß es nicht … Aber wahrscheinlich liegt es nur daran, weil ich am Meer aufgewachsen bin. Denn, sowie die Eigenart des Geruchs und der unverkennbare Rhythmus der Wellen, die immer irgendwie auch Gefahr bedeuten, scheint dies unauslöschlich in uns überzugehen, uns zu formen. So wie ein unbändiger Sog zwischen Anziehung und Abstoßung, gleich den Gezeiten von Ebbe und Flut …
Einen Augenblick lang war nur das Rauschen des Meeres zu hören. Und ganz vorsichtig, als müsse sie dem Gesagten noch nachlauschen, wandte sie sich Knut zu. »Das hast du eben sehr schön gesagt; das von der Kindheit.« Sie lehnte sich leicht an ihn, so dass sie seine Wärme spürte und fuhr in ungebrochener Nachdenklichkeit fort: »Weißt du, manchmal denke ich, dass gerade in der Kindheit, weitaus mehr mit uns und in uns passiert, als wir im allgemeinen wahrhaben wollen. Selbst wenn es sich überwiegend nur um symbolhafte Werte handeln sollte, so mag ja gerade ihnen eine besondere Nachhaltigkeit zugrundeliegen. Zumindest erscheint es mir so, als wenn wir nach wie vor die Kindheitseindrücke zu sehr unterschätzen.«
»Kann schon sein – muss aber nicht so sein.« Er lauschte mit angehaltenem Atem. Dann erst, nach einer Weile sagte er mit angespannt vorgeneigten Kopf: »Hörst du den zischenden gurgelnden Ton, beim Aufprall der Wellen zwischen den zerklüfteten Felsen? Genauso hörte es sich an, wenn sich bei uns zu Hause, die unruhig gewordene See an den aufgehäuften Steinbarrieren brach. Ein Geräusch, dass ich später öfters zu hören glaubte, obwohl es gar nicht möglich war.«
»Wohnst du eigentlich in Bremen auch am Meer?«
»Nein, leider überhaupt nicht. Das war es ja auch, was mir die erste Zeit ziemlich zu schaffen machte – mir fehlte das Meer. Da konnte auch der verhältnismäßig gute Ausblick vom Balkon aus kaum etwas bewirken – es blieben dennoch nur öde Häuserfassaden. Nun, bisher war das alles nicht von Belang, da ich nur selten zu Hause weilte. Doch neulich, als ich erstmals krankheitsbedingt längere Zeit Zuhause
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