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Die Ueberbuchte

Die Ueberbuchte

Titel: Die Ueberbuchte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Rawolle
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verbringen musste, da nervte mich diese Enge ganz schön. Und ich war heilfroh, dass ich, als es mir wieder besser ging, zu meiner Schwester auf Sylt fahren konnte, und anschließend noch zu meiner Mutter nach Hause. In dieser Zeit wurde mir überhaupt so manches bewusst, was mir bisher nie aufgefallen war – geschweige auch noch akzeptiert hätte.«
    »Aha, und das wäre?«
    »Eigentlich nichts Besonderes – eher etwas rein Zufälliges – Alltägliches. Weniger was den Augenblick betraf – eher die Zukunft – das herannahende Alter, welches plötzlich Fragen über Fragen aufwarf. Fragen, über die ich vor einiger Zeit noch gelacht hätte. Die nun aber, noch dazu auf einer direkt ekelhaften Weise, mich bedrängten. So sehr ich mich, zumindest am Anfang, dagegen aufzulehnen begann oder es gar zu ignorieren versuchte, es gelang mir nicht – es wurde höchstens noch schlimmer, so dass ich allmählich an allem zu zweifeln begann. Gewisse Dinge, die mich nie sonderlich interessierten, mich völlig kalt ließen, kehrten sich plötzlich gegen mich um. Aus Selbstständigkeit und Unabhängigkeit wurde plötzlich Egoismus, und aus Toleranz und Lebensfreude, wurde nun Verantwortungslosigkeit und Pflichtvergessenheit. All diese schwer erklärbaren Widersprüche, beschäftigten mich nun unentwegt. Nur, das dumme daran ist, mein Leben ist im Grunde das Gleiche geblieben.«
    »Ach, weißt du, Veränderungen in uns selbst, die müssen nicht sofort sichtbar werden – aber sie werden auch nie mehr ganz verschwinden.« Sie lachte plötzlich ohne jeden Grund, und sagte in gewollt burschikosen Ton: »Das alles, mein Lieber, hört sich eigentlich ein bisschen zu dramatisch an, findest du nicht auch? Könnte es nicht vielmehr so sein, dass deine Krankheit, deine momentane physische Schwäche, an dererlei Gedankengänge schuld sein könnte? Sozusagen in Panik verfallen …« Sie lachte erneut unbefangen auf. »Schließlich bist du der Letzte, der um sein Alter, seiner Zukunft besorgt sein müsste, stimmt’s?«
    »Ich sehe schon«, sah er sie voller Selbstmitleid, vorwurfsvoll und traurig an, »du verstehst mich nicht, oder besser, du willst mich nicht verstehen. Denn du weißt sehr genau, dass es weder die finanziellen, noch gegenständlichen Dinge des Lebens sind, die mich bedrängten und noch bedrängen.«
    »Aber, aber, wer …«
    »Nein, Lena, sage jetzt nichts weiter«, unterbrach er sie, »denn ich weiß, dass du mich sehr wohl verstanden hast.«
    Lena nickte und schwieg. Und sie vermied ihn anzusehen. Denn sie wollte verhindern, ja es drängte sie direkt danach, ihn nicht tiefer in seine vermeintlichen Probleme eintauchen zu lassen. Denn sie ahnte bereits, dass sie zu einer eventuellen Schlüsselfigur innerhalb seiner Veränderung werden könnte, und genau das wollte sie nicht – nicht zu diesem Zeitpunkt. Und so sagte sie: »Komm, lass uns zurückkehren.«

    Der letzte volle Tag auf der Insel war nunmehr angebrochen. Und Lena stand wie jeden Morgen, die Hände fest auf das Balkongeländer aufgestützt und blickte unverwandt aufs Meer hinaus. Nur, dass sie sich heute Morgen vehement gegen die aufkommende Traurigkeit wehren musste. Sie spürte immer deutlicher, dass dieses Mal der Abschied ein gänzlich anderer als sonst war. Sie wusste auch, und darüber brauchte sie sich wahrlich nichts vorzumachen, dass ein Mensch in ihr Leben getreten war, der ihr weder gleichgültig, noch fremd war; und sie wusste auch, dass er etwas von ihr erwartete, etwas, das sie nicht zu geben bereit war – wenigstens jetzt noch nicht. Wenn überhaupt, dann nicht so schnell. Sie wollte lieber auf den Abstand vertrauen, der noch immer erfolgreich die Illusion von der Wahrheit zu trennen verstand. Dann erst, im Laufe der Verflüchtigung, würde sich die wirkliche Dauerhaftigkeit erweisen, und nicht jetzt, im verzauberten Urlaubsaugenblick. Bei diesem Gedanken atmete sie tief und zugleich befreit auf. Denn es widerstrebte sie, ihren über viele Jahre hart erkämpften Seelenfrieden, so mir und dir nichts auf’s Spiel zu setzen.
    »Hallo! Guten Morgen, liebe Frau! Sie wollen heute doch nicht etwa kneifen?«, rief da der kleine gedrungene Mann, mit dem feisten, runden Gesicht und den immer heiteren Augen, zu ihr hinauf.
    »Sie sind heute etwas zu spät dran, denn ich bin schon angezogen«, erwiderte sie.
    »Schade! Dann morgen halt etwas früher!«, rief er und verschwand mit wehendem Bademantel hinter der Hausecke.
    Da aber noch genügend Zeit bis zum

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