Die Ueberlebende
sehr mit Blumendekorationen oder den neuesten Kochrezepten beschäftigt. Schulmädchen wie ich lebten eine sonderbar zwiegespaltene Existenz, von der Männer (abgesehen von den Angehörigen) ausgeschlossen waren.
Die einzige Gelegenheit, bei der wir auÃerhalb unserer vier Wände mit einem Mann in Kontakt traten, fand einmal jährlich statt, nämlich, wenn die Ordensschwestern sich zu ihren »Exerzitien« zurückzogen. Uns wurde erklärt, dass sie sich dabei der Reue ob ihrer Sünden widmen wollten und dazu ein Schweigegelübde abgelegt hatten. Gerüchte darüber, um was es sich bei diesen » Sünden « handelte, grassierten zuhauf: War Schwester Margarita tatsächlich eine bekehrte Kabaretttänzerin? Und traf sich Schwester Catherine immer noch mit dem Soldaten, der bis zu ihrem Eintritt ins Nonnenkloster ihr Liebhaber gewesen war?
Während sie BuÃe taten, trat ein Priester an ihre Stelle, um uns Vorträge über »Angelegenheiten des persönlichen Alltags« zu halten. Aus irgendwelchen unerfindlichen Gründen wurde erwartet, dass wir von ihm Sexualkundeunterricht erhalten würden. Dies führte zu einem bizarren Ritual, bei dem wir dem armen Kerl â um es ehrlich zu sagen â ganz schön übel zugesetzt haben. Andererseits könnte es aber auch die Erfüllung seiner kühnsten Träume gewesen sein, denn er sah sich aus heiterem Himmel von einer Schar fordernder, heranwachsender Mädchen umringt!
Ich schätze, dass wir davon ausgegangen waren, er als Mann wäre besser dazu geeignet, uns die »Dinge des Lebens« nahezubringen. Endlich einmal durften wir alles fragen, was wir wollten, und da diese Fragen in schriftlicher Form und anonym eingereicht werden mussten, waren die meisten davon natürlich sexueller Natur. Zwei Fragen waren es vor allem, die â von einem Schülerinnenjahrgang zum nächsten weitergereicht â jedes Jahr wieder neu aufkamen: »Was ist ein französischer Kuss?« und »Ist Masturbieren ungesund?«. Sowie diese beiden Fragen auf dem Tisch lagen und wir hämisch grinsend zusehen durften, wie das Gesicht des Priesters unter seiner südwestindischen Sonnenbräune zunehmend röter wurde, ging ein befriedigtes kollektives Raunen durch den Raum, als ihm vor lauter Verlegenheit die Knie zu zittern anfingen und er sich mit dem Blick eines in die Enge getriebenen Rehs, das sich zwanzig wild entschlossenen Jägern gegenübersieht, hilfesuchend im Raum umzuschauen begann. Wir jedoch fixierten ihn unsererseits gnadenlos mit unseren Blicken und lieÃen uns nicht einmal zu einem Kichern hinreiÃen.
Zweifelsohne schickte die Kirche diese gutmütigen Männer in der Absicht zu uns, sie in ihrer Entschlossenheit zu bestärken und sie auf weit schwierigere Aufgaben vorzubereiten, als einer Klasse sexuell frustrierter Schulmädchen gegenüberzutreten.
Als ich durch das immer noch gleiche alte Tor der Schule trat, fühlte ich mich gerade an jene Jahre erinnert, in denen wir uns wie kleine Königinnen vorkamen und doch nur so wenig von der Welt wussten, als eine Nonne freudig auf mich zugeeilt kam. Sie hatte im Garten gearbeitet, und ihre Hände waren noch voller Erde. Ich erklärte ihr, dass ich eine ehemalige Schülerin sei, und bat sie, die Direktorin sprechen zu dürfen.
Das Gebäude war gröÃer und in besserem Zustand, als ich es in Erinnerung hatte. Offensichtlich verfügte die katholische Kirche heutzutage über mehr Mittel, obwohl sie in ihrer bislang dominierenden Rolle im Schulwesen in den letzten Jahren durch das Entstehen neuer, dezentral geleiteter Schulen ein wenig zurückgedrängt worden war. Diese Schulen unterstanden nicht mehr religiösen Institutionen, sondern waren eher weltlich orientiert, wobei die besseren unter ihnen aus Initiativen privater Investoren hervorgegangen waren.
Die Leiterin der Ordensschule, Schwester Sarah, empfing mich in ihrem Büro. Dieses war so spartanisch eingerichtet wie eh und je â mit einem Bild des gekreuzigten Jesus als wichtigstem Blickfang.
Meine hinduistischen Freunde kannten vorwiegend plumpe, fröhliche Götter und anmutige, sinnliche Göttinnen; die Ikonografie von uns Sikhs hingegen gestaltete sich erheblich blutrünstiger â waren doch mehrere unserer Gurus mitsamt ihren F amilien von den Moguln enthauptet, gepfählt oder hingeschlachtet worden. Nimmt es da wunder, dass
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